07.05.2007 Hamburg

Ein erster Blick: Es ist soweit.

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 18° C, NW 1, 80%, teilweise bewölkt


Fonsä, Veit, Wolfi, Zenz! Nun heißt es Abschied nehmen; sobald der letzte Passagier die Gangway hinuntergegangen ist, wird unsre Hütte zusammengefaltet und in die Werft geschoben. Bis ein gewisser Fichtl Hannes aufgerufen wird – 8:40 Uhr, Kofferanhänger weiß, Bus 11 –, schreibe ich meinen letzten Eintrag für Euch, unten am Pier gerade die Kipp-Oehljeklaus, ihre Meise lugt neugierig aus dem Haarnest. Diskret im Abseits Polizisten mit Handschellen, Immobilienjongleur P. wird man wahrscheinlich hinaustragen müssen. Werde selber in wenigen Minuten pro forma auschecken; das versprochne Logbuch wird Euch kein Geringerer als Fasthuber überbringen, er hat sich bereiterklärt, Euretwegen einen Umweg zu machen. Wohingegen ich? Das Wort des Käptns während der Farewell-Gala – „Nach der Weltreise ist vor der Weltreise“ – summt mir im Ohr; sobald ich meine Kleidung gewechselt habe, werde ich im Arbeitsoverall des Matrosen über die Ladeluke zurückkehren, mein Stockbett im Wassertank bereits frisch bezogen. Nein, als Kielschweinehirt ist Dieter eingeteilt worden; mir hat man die Aufgabe zugewiesen, das Öltagebuch zu führen: tägliches Protokoll, welche Schwer-, Schmier, Hydraulik- und vor allem Altöle an Bord, welche Mengen, welches in die Ölkelter muß, bevor wir’s verwenden oder entsorgen können. An Seetagen wird mir das Tuten der Schiffssirene sagen, daß es nicht etwa fünf vor, sondern genau zwölf in meinem Leben ist; und wenn ich mir dazu auch noch im Cruisenet unsre aktuelle Position ansehe, so … werde ich nichts weniger als ein glücklicher Mensch sein. Ach ja: Jeden Sonntag mittag, soviel weiß ich schon, gibt’s in der Mannschaftsmesse Schnitzel oder Cordon bleu, abends dann Griesbrei oder Milchreis. Wenn das keine glänzenden Perspektiven sind.

06.05.2007 Livorno / Florenz / Italien

Ein erster Blick: Der schöne Schein trügt: Es ist und bleibt vor allem unsre vorletzte Station.

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 17,5° C, N1, 80%, bewölkt


Die letzte Farewell-Gala liegt hinter uns; Prof. Billhardt, der sich unbedingt noch einmal eine Doppelportion „Süße Symphonie“ einverleiben mußte, mit Darmverschluß auf der Intensivstation. Nach der Seekartenversteigerung der Bordchor mit Shantys; bei „Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise“ Frau Igelbrink hemmungslos am Heulen; während wir alle gemeinsam „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ singen, schneuzt sich sogar die Kipp-Oehljeklaus. Graf Harro läßt uns tapfer wissen, daß er ja schon im Juni zu seinem nächsten Halbjahrestrip aufbrechen wird, auf die ISS-Raumstation. Frau Stäblein hingegen am Grübeln, ob sie von ihren Kakteen überhaupt noch erkannt wird, wenn sie ihnen morgen abend wieder selber – an dieser Stelle muß auch sie sich eine Träne aus dem Auge wischen. Jaja, wir haben hier nurmehr ein paar Stunden. Wir? Ihr! Und noch immer fragt ihr euch, was von unsrer Reise „bleiben“ wird: Teilnehmer früherer Fahrten wissen von möwengroßen Vögeln zu berichten, von denen sie auf irgendeiner unbewohnten Pazifikinsel angriffen wurden; ihr erinnert euch nur an einen Ziegenmelker, der im Persischen Golf an die Decke des Lido-Cafés knallte und von dort in die Joghurtschüssel von Frau Wack fiel. Stammkunden schwärmen von einem Blitz, der in unsre Hütte ein- und die Antenne kaputtschlug (einer der Gäste habe Zugang zur Notantenne gefordert, um einen Millionendeal an der Börse punktgenau abzuwickeln); ihr hingegen könnt nur die plötzliche Neun-Grad-Neigung des Schiffsrumpfes während der Anfahrt auf Dubai ins Feld führen (die Boutiquenbesitzerin rief empört auf der Brücke an, weil bei ihr alle Schubladen aufgegangen waren). Herr Wallosek: Das sei die ruhigste Weltreise gewesen, die er je erlebt habe, er werde sich in Hamburg – mitten im Satz muß auch er zum Taschentuch greifen, Gottseidank.

05.05.2007 Olbia / Sardinien / Italien

Ein erster Blick: Ist das Kulisse? Oder schon Erinnerung?

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 17° C, SW 3, 67%, bedeckt


Männer auf verlornem Posten. Und ein letzter Höhepunkt unsrer Fahrt. Dabei beginnt der gestrige Tag eher melancholisch, mit einer außerplanmäßigen Postzustellung: Als sei er ein gewöhnlicher Passagier, ist auch Herr Gehringer (samt jemenitischem Butler) in Limassol von Bord gegangen; er, der uns in den letzten Monaten als Sir Alex, Magic Manfred, Larry Trotter, Rodolfo Rosé und nicht zuletzt auch als Gandalf mit seinen Kunststücken verzauberte, schreibt uns per Fax: „Bin wieder zurück im Feinstaubmeer am Siegestor. Meine Ankunft eher ein Produkt des Zufalls – weil der Schlüssel in meiner Hand plötzlich in das Schloß an der Tür paßte, vor welcher ich irgendwann auftauchte.“ Dieter und ich nicken uns zu, auch Herr Weinschröder setzt eine verschwörerische Miene auf. Aber dann! Kaum waren die Capri-Ausflügler alle wieder an Bord, 13:30, drehte der Käptn? oder doch unser nautischer Offizier, der ja von 12 bis 16 Uhr Wache hat? drehte wer auch immer mit unsrer Hütte eine Ehrenrunde um die Insel; der Bordpastor: „Prima, acht Euro fünfzig für die Rundfahrt gespart“. Nach eineinhalb Stunden die Blaue Grotte, unscheinbar im Fels, davor in kleinen Booten: Winkende, die unser Signalhorn als Gruß mißverstehen. Sobald sie von unsrer Bugwelle gegen die Felswand geworfen werden, vereinzelte Empörungsschreie, der Rest ist bereits mit Überleben beschäftigt. Da die Grotte, je nach Wasserstand, nur 1,50 Meter hoch ist, wird sie durch die Dünung auch im Inneren vollständig geräumt – keiner mehr in der Schlange vor uns, der Weg ist frei. Schon beginnt die Ausbootung mit den Zodiacs; nach einer halben Stunde ist die Aktion beendet; der Bordpastor: „Prima, acht Euro fünfzig fürs Grottenboot gespart.“ Allgemeine Zufriedenheit, die freilich sofort wieder in die Abschiedswehmut derer umkippt, die übermorgen ins Normale zurückkehren müssen.

04.05.2007 Capri / Italien

Ein erster Blick: auf die vorvorletzte „Destination“, die uns noch im Weg liegt

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 19° C, O 6, 95%, Regen


Ob bei der abendlichen Fahrt durch die Straße von Messina, ob beim nächtlichen Passieren des schwarzkegeligen Stromboli, ununterbrochen sind wir jetzt am Bilanzieren. Immerhin haben wir 46 Länder bereist, wie Professor Billhardt errechnet hat; Herr Laufkötter hat von unsern 119 Landgangstagen nur fünf wegen Kränkelei oder Unlust verpaßt – und auf diese Weise 62 Golfplätze kennengelernt, vier davon allein in Sydney. Dazu Frau Stäblein: „Allmächt! Dann waren Sie ja immer nur im Landsimulator.“ Auf Vorschlag des Professors werden wir heut abend Höhe- und Tiefpunkte unsrer Fahrt zur Abstimmung bringen; Herr Wöstenkühler schon im Vorfeld: Nein, Highlights habe’s kein einziges gegeben, in Singapur sei er schon 9 Mal gewesen, in Sydney sogar 12 Mal, außerdem habe nachts diesmal dort der Mond über der Oper gefehlt. Im Anschluß hat Graf Harro eine Show seiner besten Photos in der Europa-Lounge angesetzt, man rechnet mit zwei- bis dreitausend Bildern. Zu diesem Zeitpunkt werden wir freilich, Dieter und meine Wenigkeit, schon wieder in den Katakomben sein, um letzte Formalitäten mit dem Heizerkönig zu besprechen. In der gestrigen Nacht übrigens Besichtigung meiner zukünftigen Suite; werde sie mit 9 anderen teilen, darunter nicht nur Dieter, sondern, sieh an, Herr Weinschröder. Unser Wohnwassertank – 1er-Deck, FWC1, zwischen dem Chemielager achtern (wo mittlerweile Wostock mit seinem Didgeridoo zugange ist) und dem Stall der Seekuh – perfekt mit Stockbetten versehen, verfügt sogar über Fernseher und WC, das Geräusch der Maschinenblöcke in phantastischer Akustik zu vernehmen. Abschließend den Heizerkönig zur Ölverkostung begleitet, die Überprüfung des frisch gebunkerten Schweröls stand an. Kundig schwenkt er die Flüssigkeit im Glas, riecht daran und … leckt sich die Lippen, nickt. Der Heizerkönig in Wirklichkeit ein Sommelier der Maschine, Hut ab.

03.05.2007 Catania / Sizilen / Italien

Ein erster Blick: auf den Ätna

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 18,5° C, W 1-2, 91%, teilweise bewölkt


Der nackte Mann und das Schiff. Seitdem man ihm anläßlich seines 2500. Bordtags eine Marzipan-EUROPA überreicht hat, haben wir nichts mehr von unserm Herrn im Bademantel gehört, keiner hat ihn mehr übers Deck irren sehen, keiner wurde von ihm befragt, wo wir gerade seien. Nun wissen wir, warum: „Die Kreuzfahrt, das bin ich“, soll er als letztes zu seinem Butler gesagt haben, der nun, im Hinblick auf die kommende Werftzeit, ein wenig indiskreter wurde: Der Herr will den Rest seiner Reise – und wir sind uns sicher, er spricht von seiner Lebensreise – in Rückenlage auf dem Bett verbringen, in inniger Verbindung mit dem Schiff. Ungestört in des Wortes umfassendster Bedeutung! Natürlich wird er weiterhin vom Zimmerservice mit Strammem Max und Nußecken versorgt; doch abgesehen davon, daß er manchmal auf den Balkon hinaustritt (und dann leider nicht selten über die Reling pinkelt), ist er ausschließlich mit dem Lauschen auf Anna, Berta, Cäcilia und Dora beschäftigt, dazu läuft tonlos das Bordfernsehen mit dem Live-Bild vom Bug. Um auch die letzten Feinheiten der Fahrmanöver zu erspüren, hat er sich sukzessive ausgezogen, er werde jetzt „puristisch schippern“, ja, „selber Schiff werden, Schiff sein“. Angeblich spürt er das Karma unsrer Hütte, jedes Ein- und Ausatmen des Schiffsrumpfs ist ihm eine Botschaft, und wenn wir über Gebühr am Anker liegen, ringt er selber um Luft, ja, er soll schon schwere asthmatische Anfälle durchlitten haben, die erst dann schlagartig vorüber waren, wenn ein allererstes Ächzen im Schiffsbauch die baldige Abfahrt angekündigte. Dabei verwahrlost der Herr zusehends, Beethoven in der Endphase wäre neben ihm mittlerweile ein aus dem Ei gepellter Fant, versichert der Butler, man werde sich demnächst etwas einfallen lassen müssen. Oh ja, spätestens in vier Tagen! Zur Erinnerung: Von Bord werfen kann man den Herrn nicht, er gehört zum Inventar.

02.05.2007

Ein erster Blick: Für Boat People zu wenig, für Piraten zu langsam … der örtliche Qat-Händler?

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 17° C, windstill, 80%, bedeckt


Fonsä, Veit, Wolfi, Zenz! Meine Reise wird am 7.5. ##nicht## zu Ende gehen, bin seit letzter Nacht engagiert! Zunächst auf Probe, versteht sich … War mit Herrn Drescher (ich darf ihn jetzt Dieter nennen) erneut in den Katakomben, muß Euch gestehen, daß es mir dort von Mal zu Mal besser gefällt, besser sogar als auf den Passagierdecks. Mein erster offizieller Termin beim Heizerkönig, und gleich Klartext: Gut die Hälfte seiner Leute ehemalige Passagiere, die er so lange illegal beschäftigt, bis etwas Reguläres in unsrer Hütte vakant wird (auch Fasthuber soll seine Karriere als Oberkellner so begonnen haben). Freie Kost und Logis in einem umgebauten Frischwassertank, vorerst einzige Verdienstmöglichkeit: Telephonkarten- und Hustensaftschmuggel, letzteres natürlich nur rund um die arabische Halbinsel. Als der König hörte, daß ich von Beruf Finanzbeamter, wurde er hellhörig, vielleicht gäbe ich ja „irgendwann mal ’nen ordentlichen Crew-Purser ab“, einen, der sich regelmäßig zugunsten seiner Leute verrechne? Einkleidung mit weißem Overall und Helm; Aushändigung eines gefälschten Crew-Ausweises („Position: Supernumerary“); der Plan: Werde in Genua ganz regulär als Passagier auschecken und dann … ich kann’s noch gar nicht glauben! Das Traurige daran: Werde nicht so schnell nach Oberviechtach zurückkommen. Aber denkt dran: Wenn unser Kreuzlmachen die letzten zwanzig Jahre einen Sinn gehabt hat, dann den.
PS: Der Palast von Knossos gestern aufgrund von Maifeierlichkeiten geschlossen; die Deutsche Stiftung Musikleben muß darin weitermusizieren, bis wir im nächsten Jahr wieder vorbeikommen.

01.05.2007 Agios Nikolaos / Kreta

Ein erster Blick: Das haben wir doch schon mal ganz genau so gesehen?

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 17,5° C, windstill, 75%, wolkenlos


Der Tag der Arbeit beginnt, tief nach Mitternacht, mit einem poetischen Bild: Unser „I’m your bodytalker“-Delphinmann, nach seiner Late-Night-Show in der „Sansibar“ – so hoch oben durfte noch keiner der Bordkünstler auftreten –, auf dem Weg nach Hause: Beschwingt geht er übers Gangbord des 9er-Decks, in einer Hand die Flasche Wein, die er für einen tüchtigen Absacker noch schnell am Tresen erstanden hat, in der andern einen mit Helium gefüllten Plastikdelphin, den ihm ein Verehrer (Frau Lührmann meint: der Hot Man) gekauft und im Rahmen des Abends überreicht hat. Glückselig schreitet er dahin, hoch über ihm der Delphin, ein Stückchen höher nurmehr der Mond. – Wenige Stunden später, wir sitzen noch nicht mal beim Frühstück, die „Evergreen Juniors“ mit der Internationale, „Wacht auf, Verdammte dieser Erde …“: An ihrer Spitze Timmi Timmermann, ziehen sie rund um den Pool und dann über alle Decks, immer mehr Vertreter der Arbeiterklasse schließen sich an, irgendjemand schwenkt sogar plötzlich eine DDR-Fahne, das Ganze entwickelt sich zu einem nostalgisch korrekten Ententanz. Herr Weinschröder: „Da sieht man endlich mal, wie viele Ossis (Konsul Walder: „Das sind Bürger aus den neuen Bundesländern!“) auf unsrer Hütte angeheuert haben.“ Professor Billhardt: Der Anteil an Österreichern sei auch nicht zu unterschätzen. Egal! Angeführt von den „Evergreen Juniors“ und ihrer fröhlichen Blasmusik, werden wir heute alle zum Palast von Knossos ziehen und die Vertreter der Deutschen Stiftung Musikleben befreien, die wir vor einem halben Jahr darin zurücklassen mußten. Und da kommt auch schon der Delphinmann zum Frühstück, leise vor sich hin pfeifend, er trägt die weißen Frotteepantoffeln, die jede Woche frisch in unsern Kabinen bereitliegen – der erste Mai nimmt seinen Lauf.

30.04.2007 Delos / Myconos / Griechenland

Ein erster Blick: auf Apollons Geburtsort

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 17° C, SW 4, 69%, leicht bewölkt


Überraschende Durchsage am Sonntagabend, zur besten „Tatort“-Zeit: „Einen wunderschönen guten Abend von der Brücke, meine Damen und Herren, es spricht ihr nautischer Offizier. Die Reise durch die sieben Weltmeere hat uns allen mehr als sieben Souvenirs beschert, und wenn Sie nun Ihren Koffer nicht mehr zubekommen: Heute abend können wir dem Meer zurückgeben, was wir im Lauf der letzten Monate von ihm bekommen haben …“ Im Klartext: Fröhliches Souvenirverklappen, 7er-Deck achtern, jetzt! Und wir kommen alle, führen Holzelefanten aus Thailand mit uns, Hochzeitskoffer aus dem Jemen, Masken der Maya und Maori, geschnitzte Kuhknochengottheiten und Schwertfischspitzen. Schon fliegen die ersten Krummdolche, Jadekästen, Safransäcke, Sarah läßt einen Problemplüschbären aus Neuseeland über die Reling gehen, ihre Mutter den arabischen Jagdfalken – der sogleich Kurs Richtung Dubai aufnimmt. Herr Riebenstein: drei Imitat-Goleos aus der Türkei; Frau Wallosek, mit einem Seufzer: ihre Tasche mit Kopftüchern. Bei jedem Wurf macht der Bordpfarrer das Peace-Zeichen, der Trompeter der „Evergreen Juniors“ dazu „Silencio“ in Endlosschleife. Nur einer fehlt: Dr. Wegensteiner. Seine Sammlung gilt mittlerweile als Gesamtkunstwerk; wo hätte man anfangen können mit dem Aussortieren – beim Versammlungshaus, dem Holzkrokodil, dem Totempfahl, der jemenitischen Blechtür? Entscheidung von Hapag-Lloyd Hamburg, die Wegensteinersche Kabine (einschließlich ihres Schöpfers) fortan als begehbare Installation ins Bordprogramm zu nehmen, eine Art Weltreise-Galerie als „Work in progress“. Immerhin bleibt die bildende Kunst damit auch weiterhin an Bord; die bisherige Galerie, wie erst gestern abend durchsickerte, wird in der Werft zum Basar umgebaut, auf dem die Souvenirs sämtlicher Zielhäfen angeboten werden.

29.04.2007 Volos / Griechenland

Ein erster Blick: Die Inkarnation der Entzugserscheinungen?

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 15,5° C, SW 2, 65%, wolkenlos


Überall auf den Decks Matrosen, die versuchen, die grünen Flecken wegzuschrubben, das könnte ihnen noch zum Verhängnis werden. Starke Entzugserscheinungen, sehe in jeder Poolpalme ein Qatbäumchen; versuchsweise die Orchideen aus der Couchtisch-Deko gekaut, ohne Wirkung: Es hilft nichts, kein Qat nirgends und nurmehr acht Tage bis Genua, wir müssen der Wirklichkeit ins Auge schauen: Herr Drescher in regen Verhandlungen mit dem Heizerkönig; die Damen Wallosek und Wack wieder beim Bingo, als wären sie niemals komplettverschleiert herumgelaufen; Herr Born wieder beim Shuffleboard; mit einem Mal, in heller Aufregung, Sarah: Ob auch wir die Bojen gesehen hätten? Oder ob sie nur einen Flashback habe? Als wir uns alle vor den gelben Gemäldesurrogaten versammelt haben, die im Treppenhaus achtern als eine Art Treppenhauskonzeptkunst hängen, sehen wir’s auch: in den Ecken der Kunstwerke überall kleine quietschbunte Bojen, akribischer Detailrealismus, die umliegenden Gelbflächen durch einige markante Striche zum Meer umgedeutet. Daß unser Bordbojenbemaler in Verdacht gerät, versteht sich; erwartungsgemäß finden wir ihn im Hobbitraum, achtern auf Deck 7, wo er seit seiner Verbannung von den offnen Decks einen beständigen Gesprächsmaltherapiekurs abhält. Mittlerweile scheint man nicht nur Bojen zu bemalen, sondern nahezu alles, was der Fall ist; während sie versonnen eine Kaviardose überstreicht, berichtet Frau Laufkötter, wie sie im Lauf der Reise die Zweidimensionalität „zurückentdeckt“ und sich beim Kolorieren von Malbogen „wieder ganz selbst gefunden“ habe. Um ihre Werke vor dem Hot Man, sprich: der Verklappung zu bewahren, hat sie Frau Laufkötter kurzentschlossen rahmen lassen; nun sollen sie nach den Werftarbeiten sogar im Treppenhaus achtern … Moment mal! Verfügt Johannes Nawrath etwa noch über Qat? Es wird jedenfalls Zeit, daß auch der Bemalkurs sein verdientes Ende findet.

28.04.2007 Nauplia / Peloponnes / Griechenland

Ein erster Blick: anhaltende Reinigungsarbeiten

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 16,5° C, NW 3, 52%, teilweise bewölkt


Unsre Hütte frischgestrichen, die Spuren der ägyptischen Plagen getilgt, der Hot Man persönlich hat sich ein weißes Schürzchen umgebunden und pinselt die letzten Sandkörner mit einer großen Staubquaste aus den Ecken – es könnte alles, wenigstens für die verbleibenden neun Tage, so schön sein: Sogar einen leibhaftigen „I’m your bodytalker“ hat der Entertainment Manager im Abendprogramm plaziert; dieser tritt, gebürtig aus Eisenhüttenstadt, im karierten Hemd auf: „Erinnern Sie sich an viele dicke Männer und legen Sie die Schablone an mich an.“ Sogleich imitiert er knarzende Campingliegen, Lautsprecherdurchsagen mit Wackelkontakt, Reißverschlüsse und Knutschgeräusche, vor allem aber die Fiep- und Schmatzbotschaften der Delphine, dies alles so trefflich, daß die meisten Zuschauer tatsächlich schon während seiner Show heimwärts streben: „Ich geleite Sie jetzt in die Müdigkeit“, wiederholt der Delphinmann leitmotivisch, „Sie sollen schlafen“. Doch wie könnten ##wir## das, die wir uns eingestehen müssen, daß unsre Qat-Vorräte am heutigen Abend definitiv zu Ende gemümmelt sein werden? – War immerhin nach dem Ende der Show wieder mit Herrn Drescher unterwegs, Bewerbungsgespräch beim Heizerkönig! Ein weißer Bär, uneingeschränkter Herr über 1er- und 2er-Deck, hinter ihm an der Wand der Zweizeiler „Watt, Ampere, Volt und Ohm, / ohne mich gibt’s keinen Strom“. Jaja, scherzt er bei der Begrüßung, er sei derjenige, der dafür sorge, daß in unsern Kühlschränken nicht das Licht ausgehe. Früher habe er öfters mitten in der Nacht – so Herr Drescher, als der König kurz einen seiner Filipinos instruiert – über Bordlautsprecher ein jämmerliches „Aaaaah! Keiner besucht mich, ich bin so einsam in meiner Maschine!“ abgelassen, immer wieder hätten sich daraufhin Passagiere aufgemacht, ihn zu trösten. Um anschließend spurlos zu verschwinden. Heute arbeiten offiziell 24 Männer für ihn, weitere 24 inoffiziell – unsre Chance!