27.04.2007

Ein erster Blick: Wie schaffen die das im Fahren? Oder ist das eine Joga-Übung des Fortgeschrittnenkurses?

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 17° C, NW 2, 77%, wolkenlos


Ob unser Trinkwasser auch gelb und der Rauch aus dem Schornstein grün ist, so lang wir fahren, kann uns nichts mehr aus der Ruhe bringen. Der tägliche Kau tut uns gut, mit schlappen 12 Knoten schippern wir nun durch die Ägäis, und daß dort vor drei Wochen ein Kreuzfahrtschiff gesunken ist – die SEA DIAMOND, unter den Passagieren sogar zwei Tote –, schreckt uns nicht: Unsre Hütte unsinkbar; eher noch hebt sie bei nächster Gelegenheit komplett ab und wir segeln den Rest der Strecke über den Wolken. Auch gemeckert wird nicht mehr, wir lächeln selbst denjenigen mild zu, die wir monatelang hartnäckig übersehen haben. Daß sich einige unsrer Mitreisenden in Ägypten mit Shishas versorgt und diese unterm Deckmantel eines „Türkischen Festes“ am Pool in Position gebracht haben, kann uns nur ein Schulterzucken entlocken; Konsul Walder: Hauptsache, man serviert uns dort weiterhin unsern Saubohnenbrei; mit der Beiläufigkeit der Weitgereisten drücken wir kleine Zitronenschnitze darüber aus. Wenn’s hart auf hart käme, hätten wir ja unsre goldnen Kraftgürtel, hätten unsre Krummdolche. Was uns allerdings ##wirklich## beunruhigt – neinein, das Gerücht, daß bereits laufend Handwerker zusteigen, als Passagiere verkleidet, die sich sogleich daranmachen, heimlich an unsrer Hütte herumzuschrauben, obwohl sie noch nicht mal in der Werft ist, selbst das bringt uns nicht aus der Ruhe. Daß es hingegen in keinem der Häfen, die wir seit dem Jemen angelaufen haben, Qat-Händler gibt, treibt uns um; Immobilienjongleur P., der stets beidbackig kaut, flehte heute morgen den F&B-Manager auf Knien an, er fahre bereits auf dem Notbeutel, in spätestens ein, zwei Tagen sei er „alle“, „und dann Amen, meine Damen“. Professor Billhardt: Auch der Kampf ums Wasser werde dereinst ganz unspektakulär beginnen, mit Durst.

26.04.2007 Antalya / Türkei

Ein erster Blick: auf die Berge hinterm Ortadogu Port

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 15° C, umlaufend 0-1, 70%, teilweise bewölkt


Das Tagesthema: die Liason zwischen unserm nautischen Offizier und Frau Igelbrink. Sogleich werden Geschichten von andern „unmöglichen“ Verbindungen erzählt; Frau Wallosek: Ein Bordarzt der CRÈME BRULÉE habe sich eine 80 Millionen schwere Greisin geangelt, die nach zwei Jahren planmäßig verstorben sei. Herr Born: Als die 80 Millionen durchgebracht waren, habe er allerdings wieder anheuern müssen, um ein zweites Mal den Tantentäuscher zu geben, erneut mit Erfolg. Frau Lührmann: Nachdem auch seine zweite Frau gestorben und deren Vermögen durchgebracht war, soll er im Knast gelandet sein. – Doch dies alles nicht mehr in der Aufgeregtheit derer, die in der Beförderung des Bordtratsches den Sinn der Kreuzfahrt sehen, sondern lediglich um uns die Zeit zu vertreiben, die wir im Hafen von Antalya festliegen, nun schon den zweiten Tag. „Stellt euch vor“, so Herr Laufkötter, „wir blieben für immer hier, das wäre doch –“ Schrecklich, in der Tat. Ein Schiff muß fahren, und wir, die wir sowieso nicht mehr an Land gehen, können’s gar nicht erwarten, heut abend wieder in See zu stechen. Und arbeiten uns derweil am ##eigentlichen## Tagesthema ab; Herr Abel: Er habe sich in Anna, Berta, Cäcilia und Dora verliebt, „30 Zylinder, 30.000 PS!“ Schlichtweg unvorstellbar, nach dem 7. Mai, das sei ja schon in 11 Tagen – hier versagt ihm die Stimme. Herr Weinschröder will sich goldne Streifen auf seine Anzüge nähen lassen; Frau Frunzke fragt sich, ob’s unsre Hütte zukünftig vielleicht auf Krankenschein gebe. Nur Herr Drescher schmunzelt still vor sich hin; habe von ihm erfahren, daß er mittlerweile beim „Heizerkönig“ – so nennt er den Chief – ein Anmusterungsgespräch geführt hat. In der Maschine werde immer wer gebraucht, er sei beileibe nicht der erste Passagier, der am Ende seiner Reise als Leichtmatrose anheuere. Das ist sie, die Lösung, immer wieder blicken wir einander möglichst vielsagend an.

25.04.2007 Antalya / Türkei

Ein erster Blick: auf den Ortadogu Port am Morgen danach

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 16° C, NO 1-2, 72%, wolkenlos


Sieh an, auch unsre Frau Stäblein! Auch sie seit Wochen im „Keller“ unterwegs … Der Reihe nach: War endlich mit Herrn Drescher in den „Katakomben“, wie er die Unterdecks nennt, und – es stimmt alles, was er uns erzählt hat: Der Hauptgang im 3er-Deck ##heißt## „Highway No. 1“, der Suppenkoch „Hotsi“, im Büro des Chefkochs ##steht## sie, die legendäre Kümmelspaltmaschine. Auf dem 2er-Deck der Chief, traumverloren, an seinen Motorblöcken, allerdings flüsterte er nicht „Anna“, sondern „Berta“, „meine gute alte Berta“. Und das Geheimnis unsres Azipod-Antriebs tatsächlich zwei blinde Elephanten, schneeweiß, im Kreis gehend wie die jemenitischen Kamele, die wir in den Sesammühlen von Sana’a … Gutgut, während unsrer nächtlichen Erkundung hatten wir uns ein paar Blätter in die Backen geschoben; aber daß wir mit einem Mal, aus den Pumpensümpfen das Grunzen der Kielschweine, als hätte’s nie ein Kielschweinmassaker gegeben, daß wir plötzlich auf Frau Stäblein stießen, wer hätte damit gerechnet? Nun. Auch sie, untergehakt bei Frau Frunzke, seit Wochen im „Keller“ unterwegs, wie sie die Unterdecks nennt, um sich mit eignen Augen ein Bild davon zu machen, wie es „unserm Moritz“ dort unten ergehe. Schon dreieinhalb Monate her, daß er zur Hundewache mit anschließenden Feuerrunden verdonnert worden; seitdem ist er – so er nicht mit Wostock Gläser in der „Sansibar“ zerwirft – so gut wie von unsrer Bildfläche verschwunden. Zeit für ein wenig Eigeninitiative unsrer Damen! Große Überraschung, als wir ihn schließlich fanden, wie er vor den Hummerbassins ein offensichtliches Tete-à-tète mit der greisen Frau Igelbrink absolvierte. Er kniff ihr – typisch Bordschürzenjäger! – in den Oberarm, was ihr auch noch ein scheinheiliges Gekiekse entlockte; daß die Bassins währenddessen gefährlich überschwappten, entging den beiden vollkommen. Empört spuckte sich Herr Drescher die Backentaschen frei und flog grußlos heim.

24.04.2007 Paphos / Zypern

Ein erster Blick: Hier geht zwar nicht Aphrodite, doch – gerade noch rechtzeitig, um unserm ersten Tender Platz zu machen – die zypriotische Paßguckerdelegation an Land.

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 17,5° C, NO 3, 61%, wolkenlos


Gestern unser letzter Austauschhafen, dort endete der zwölfte, begann der letzte Abschnitt unsrer Reise. Nämlich mit einer Ansage des Ersten Offiziers: Unsre schöne weiße Hütte, von den ägyptischen Plagen arg gezeichnet, regelrecht sandgestrahlt, sie muß vom Mast bis zum Kiel gereinigt werden – der Workshop für Weltreisegäste („Wir üben Landgang, Teil III: Europa“) ersatzlos gestrichen, wir sind den ganzen Tag geschlossen zum Schiffsschrubben eingeteilt. Herr Abel, der sich dem Putzdienst über ein Fallreep vom Balkon entzog, kehrt reumütig von seinem Ausflug in die Wirklichkeit zurück: Mit Widerwillen habe er festgestellt, daß wir wieder in Europa seien, die Taxifahrer hätten weder feilschen können noch wollen, die T-Shirts seien auf schamloseste Weise bedruckt gewesen, kein einziger Qathändler weit und breit. Nicht zuletzt die vielen Miniröcke seien „arg gewöhnungsbedürftig“ gewesen; eine tätowierte Schaufensterpuppe in unmittelbarer Nachbarschaft eines Birkenstock-Geschäfts habe ihn schließlich zur Umkehr bewogen. – Wir, die wir untertags an der Backbord-Außenhaut unsrer Hütte tätig gewesen, mit entsprechend exquisitem Überblick, wer an diesem Tag abgestiegen, wer neu aufgestiegen ist, wir können ihn mit unsern Neuigkeiten schließlich in die EUROPA-Welt zurückholen: Wieder eingeschifft haben sich Frau und Herr Eschenbrenner, Mutter und Sohn. Schon während unsrer Südseefahrt hat sie ihn, den Alleinerben ihres weltweit operierenden Glückskeksimperiums, den Stewardessen mehr oder weniger offen als Bräutigam angedient, ein Startgeld in Höhe von 300.000 Euro ausgelobt, bar auf die Hand. Vergeblich, René Eschenbrenner, mittlerweile mag er auf die Vierzig zugehen, durchs schüttere Haupthaar schimmert ihm bereits rötlich die Glatzenhaut, ist alles andre als sandgestrahlt, nicht mal mit einer tätowierten Schaufensterpuppe könnte er mithalten. Seine Mutter hat die Prämie diesmal auf 500.000 Euro erhöht.

23.04.2007 Limassol / Zypern

Ein erster Blick: Europa begrüßt uns mit schlechtem Wetter.

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 19° C, O 6, 74%, bedeckt/Schauer


Unsre gestrige Fahrt durch den „Marlboro-Channel“. Um 5:15 Uhr, vor Suez auf Reede liegend, nehmen wir den Lotsen an Bord; kaum auf der Brücke, will er unserm nautischen Offizier schon die Zigarette aus dem Mundwinkel schnorren. Unsre Hütte auf Platz eins in einem Konvoi von 30 Schiffen, um 6:02 Einfahrt in den Kanal, die Passage kostet 150.000 Dollar. Wir alle, ein Weltreise-Extra, auf der Brücke; steuerbord Asien/die Wüste, backbord Afrika/das Militär – Wachtpostenhäuschen in den ägyptischen Farben, Signalfahnen in Hapag-Lloyd-Orange. Mit konstanten 8 Knoten bis zum Großen Bittersee, die Fahrspur so dicht mit Betondalben markiert, daß Frau Wack vermutet, hier und nirgendwo sonst sei Jesus übers Wasser gelaufen. Einstündige Zwangspause, weil ein Schiff im Gegenkonvoi Maschinenschaden hat. Weiterfahrt 10:20, überraschend sorglos kleine Fischerboote im Gegenverkehr, auch ein deutsch geflaggter Segler, die BAGATELLE. Dann die ägyptische Riviera, neben Schrotthalden die Wochenendhäuschen des Kairoer Geldadels, zypressengesäumt auch eine der 14 Residenzen des Staatspräsidenten, an beiden Ufern Kriegsdenkmäler … Wenn nur die vielen Fliegen nicht wären! Sie sind so fett, daß man sich fragt, wie sie überhaupt die 28 Meter zur Brücke hochschaffen konnten; Graf Harro: Wahrscheinlich mit dem Aufzug. Der Lotse zerschlägt sie mit der flachen Hand, was unschöne Flecken an den Wänden ergibt, schleunigst läßt ihm der Käptn einen Handstaubsauger reichen: Mit großem Eifer saugt der Lotse die Fliegen von Scheiben und Schalttafeln; kurz vor Port Said will er sich freilich vergewissern, daß sie auch noch alle im Staubsaugerbeutel sind – und sie ##sind## es! Wir fluchtartig auf unsre Kabinen, kurz drauf schon die nächste ägyptische Plage, Sandsturm, die Sicht dramatisch verringert. Wie wir trotzdem um 17 Uhr in Port Said festmachen konnten, wir wissen’s nicht; Herr Born, der als einziger auf der Brücke ausgeharrt hat, berichtet, daß mit einem Mal Hermann aufgetaucht sei, der Kameramann unsres Videoteams, und mit seiner gierig hervorschnalzenden Vierzigzentimeterzunge für freie Sicht gesorgt habe.

22.04.2007 Port Said / Ägypten

Ein erster Blick: auf die Einfahrt in den Suezkanal (mit auslaufenden Lotsenbooten)

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 19,5° C, S 1, 50%, diesig


Das Schiff, wie eh und je eine Brutstätte für immer neue Gerüchte! Und jeder, der sich an ihrer Verbreitung Verdienste erwerben will. Besonders ergiebig Herr Drescher, sofern er nicht schon vor dem Hauptgang (= Befüllen der zweiten Backe) völlig abhebt; von seinen nächtlichen Rundgängen unter Deck weiß er Unglaubliches zu berichten: über diverse Damen, die dort regelmäßig die Karaokegesänge unsrer Filipinos mit dem Gerassel ihrer Perlenketten unterlegen; von Moritz Kienast, unserm nautischen Offizier, mit dem er sich regelmäßig vorm Hummerbassin treffe; vom Chief, dem Herrn über die vier Schiffsmotoren, wie er einen der Motorblöcke versonnen gestreichelt und dabei immer wieder „Anna“ gemurmelt haben soll, „Meine gute Anna“. Und natürlich von den Kielschweinen, es scheint sie definitiv wieder zu geben, der Chief lasse sie Tag und Nacht mit Infrarot bestrahlen, auf daß sie zügig zu zarten bayerischen Schmankerln heranwachsen. „Mannomann, ist der wieder breit“, winkt sogar Sarah ab; Herr Drescher, anstatt zu protestieren, lächelt verschmitzt, im Windschatten des allgemeinen Gelächters ist es ein Leichtes, sich mit ihm zu einem Privatissimum zu verabreden: Tatsächlich scheint er einen Weg gefunden zu haben, der am 7. Mai ##nicht## von Bord führt. Dranbleiben! Wohingegen der Rest der Gruppe? Schon beim nächsten Thema ist, Herr Fürstenberg berichtet vom Fortgeschrittnenkurs des Bordjogis, wegen Überfüllung finde er mittlerweile zeitgleich auch auf einem Bananenboot statt, das am Heck nachgeführt wird. Wostock will den Jogi einmal abends in der „Sansibar“ beobachtet haben, wie er sich ein Stück des reihum angebotnen 23-Uhr-Flammkuchens auf den nackten Fußrist habe legen lassen; der Jogi habe das Bein dazu wie ein Reiher angewinkelt. Und sich anschließend den Flammkuchen grazil mit dem Fuß zum Verzehr zugeführt.

21.04.2007

Ein erster Blick: auf eine der Bohrinseln im Golf von Suez

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 20° C, NW 6-7, 70%, heiter


Am 7. Mai geht unsre Fahrt in Genua zu Ende, dann kommt unsre Hütte für zwei Wochen in die Werft: Was werden sie wohl alles an ihr verschlimmbessern? Einiges, so hört man, einiges! Auf vielfachen Wunsch werden in den Kabinen der Weltreisegäste Champagnerduschen eingebaut, die Heimtrainer im Trimm-dich-Raum mit Elektroantrieb nachgerüstet. Im Atrium soll ein Wasserfall vom 9er- zum 4er-Deck so angelegt werden, daß er sich rund um den Flügel als Orchideenteich aufstaut; der Kinderclub auf Deck 7 wird zu einem Seniorenspielplatz umgebaut – Anti-Hexenschuß-Geräte aus China sollen darin eine wichtige Rolle spielen. Immobilienjongleur P. hat eine Eingabe gemacht, daß im Cruise-Net zukünftig auch Pay-TV angeboten wird; Frau Frunzke will gehört haben, daß in der Steuerbordnock ein Wetterfrosch im Glas angesiedelt wird, der über einen vierten hauseignen Videokanal als permanenter Live-Wetterbericht auf Sendung geht. Ob unter den Pumpensümpfen des 2er-Decks tatsächlich ein Glasboden eingebaut werden wird, ist strittig; die Pläne, vom Peilmast zukünftig Bungee-Springen anzubieten, scheinen vom Tisch zu sein. Besorgniserregend, so oder so, wir befürchten das Schlimmste. Herr Drescher: Bei den letzten Werftarbeiten sei ein Arbeiter hinter einer Zwischenwand eingeschweißt worden; im Vorschiff, von unerfahrnen Passagieren als Rasseln der Ankerkette mißdeutet, höre man ihn seither spuken. Und auch die beiden Bronzefiguren – Dornenauszieher im Heck, nackte Muse am Pool – seien dem jüngsten Werftaufenthalt geschuldet: Was als Operation „Bleigießen“ im Tagesprogramm angekündigt gewesen, sei in Wirklichkeit ein Bronzegießen, nein eigentlich: ein Bronze##über##gießen gewesen, „Schwupp-und-weg-die-Maus“, schon hatte man zwei ewig meckernde Gäste zu Kunstwerken geläutert. Die grüne Patina sei dann aufgrund des guten Seeklimas innerhalb weniger Wochen dazugekommen.

20.04.2007 Hurghada / Ägypten

Ein erster Blick: auf die frische Wäsche, die seit drei Tagen eingeräumt gehört

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 19,5° C, NNW 5, 65%, wolkenlos


Erste Wehmutsanwandlungen beim Gedanken, daß in gut zwei Wochen „alles aus und vorbei“ sein wird, wie’s Professor Billhardt recht pietätlos ausspricht. Weil wir an den Tagesausflügen nicht mehr teilnehmen – am Unterhaltungsprogramm ohnehin schon lang nicht mehr – und weil wir auch zunehmend die Sitzungen im Restaurant schwänzen (unser Tischwimpel steht jetzt auf dem Lido-Deck gegenüber der Waffel-Bar, jeden Mittag serviert man uns dort Saubohnenbrei oder Bockshornkleesuppe mit ausgekochten Kamelknochen, nur mit der Verschleierung der Weinstewardessen hapert es noch), weil wir also zunehmend mit uns selber beschäftigt sind, haben wir plötzlich viel zu viel Zeit zum Nachdenken: Außerhalb der Reling rauscht die Welt vorbei, wir lagern um unsre Qat-Beutel und lassen die Reise Revue passieren. Kaum vorstellbar, daß unsre Hütte in Zukunft ohne uns weiterfährt, wer sollte sich denn da an unsrer Statt zusammenfinden, in unsern Kabinen, an unsern Stammplätzen? Frau Stäblein kämpft mit den Tränen, Konsul Walder schaut streng geradeaus, man sieht es nur an seinem Adamsapfel, daß er arg ins Schlucken geraten ist. Wohingegen Herr Drescher? Bestens gelaunt Blatt um Blatt in die Backe stopft, ungeniert macht er Andeutungen, daß er sich gegen Ende der Reise in die Unterdecks absetzen werde, dann sehe er weiter. Wie bitte? Allgemeines Schmunzeln, einem Herrn Drescher ist ja schon so manches verziehen worden; nehme mir fest vor, ihn bei nächster Gelegenheit beiseite zu nehmen, möglicherweise kennt er … Herr Drescher nickt mir zu, legt den Zeigefinger auf seine Lippen, als könne er Gedanken lesen. Und überläßt die Gesprächsführung wieder denjenigen, die mit ihren Melancholieschüben beschäftigt sind, blickt fragend in die Runde: „Spürt ihr eigentlich schon was? Ich glaub’, ich muß auch noch die andre Backe –“ Und dann haut das Zeug wieder voll rein.

19.04.2007 Sharm el Sheik / Ägypten

Ein erster Blick: aufs erste der ausfahrenden Tauchboote

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 21° C, NNO 5, 70%, heiter


Heute abend großes „Sunset-BBQ am Strand mit lokaler Show“; wird komplett von unsrer Runde bestreikt werden, denn parallel dazu läuft dann im Europa-Restaurant eine Souvenir-Parade, von Frau Lührmann organisiert: Sie selber hat vom Souk in Sana’a ein Bündel Äste als Zahnbürsten mitgebracht, in aller Öffentlichkeit kaut sie auf dem faserigen Holz herum, dazu ein Säckchen Weihrauchkaugummis, um sich zwischendurch immer mal wieder von innen auszuräuchern. Herr Born hat einen alten Vorderlader erfeilscht; Wostock eine Hülle für den Reservereifen seines Geländewagens, darauf ein lachender Saddam Hussein; Immobilienjongleur P. eine hänfene Unterhose mit Hasenpfotentäschchen – sie liege zwar etwas rauh an, trotzdem werde er damit demnächst in unserm Trimm-dich-Raum fahrradfahren, ein Härtetest für Mensch und Material. Das Mitbringsel des Doktors Wegensteiner – eine lila Blechtür mit reichen Goldverzierungen, die er sich bereits anstelle seiner Kabinentür hat einbauen lassen – ist angesichts der Erwerbung von Herrn Gehringer noch relativ zivil: Der hat einen der Tagelöhner, die am Bab el-Jemen auf Arbeit warten, mit aufs Schiff gebracht, jetzt gibt es auch auf dem Pazifik-Deck einen persönlichen Butlerservice. Wohingegen Herr Abel, bislang nur durch spitze Bemerkungen über Komma- und Rechtsschreibfehler im Tagesprogramm hervorgetreten, seine ewig herumnörgelnde Frau nach islamischem Recht verstoßen und dafür auch noch 20 weiße Kamele eingetauscht hat: „Ein Geniestreich“ (Herr Laufkötter); noch vor seinen Augen wurde die Karawane ausgerüstet und in Bewegung gesetzt, sie soll etwa zeitgleich mit uns in Genua eintreffen.

18.04.2007 Aqaba / Jordanien

Ein erster Blick: Die Wäsche ist zwar noch immer nicht ausgepackt, aber angesichts einer solch gewaltigen arabischen Kampf-Fahne …

Das Wetter um 6 Uhr morgens: 21,5° C, ONO 5-6, 60%, stark bewölkt


„Was sollen wir uns nach dem Jemen eigentlich noch anschauen?“ fragt Herr Pauw, der seine zukünftigen Ausflüge alle storniert hat: „Der Rest der Reise wird ziemlich langweilig werden.“ Nachdem der Käptn in seiner 10-Uhr-Durchsage Beruhigendes aus Jeddah hat mitteilen können, „Patient wohlauf, beste Betreuung“, ist auf allen Decks schnell wieder der Bordalltag eingekehrt; Herr Wöstenkühler erzählt von seiner ersten Weltreise, bei der es, sage und schreibe, sechs Todesfälle gegeben habe – „Sechs! Ich dachte damals, das ist normal so“ –, einen sogar live auf der Gangway, man habe gar nicht mehr gewußt, wohin damit, ##ernsthaft##, wohingegen wir? „Gottseidank“, fährt ihm Konsul Walder ins Wort, „gottseidank haben wir auch ##bisher## eine sehr, sehr langweilige Reise gehabt!“ Unbeirrt Herr Wöstenkühler, erinnert sich, leider nur so in etwa, daß im Bordmüll einmal ein Totenschädel gefunden wurde – war’s auf der CRÈME BRULÉE? der CRÈME CARAMEL? –, offensichtlich das Mitbringsel eines Passagiers von Land: Der Bordarzt habe offiziell festgestellt, daß es sich nicht um einen „frischen“ Schädel handelte, dann sei er der Müllverbrennung zugeführt worden, der Schädel, sprich: der Feuerbestattung, vorsorglich habe der Bordpastor ein Kreuz geschlagen. Wohingegen der unsrige als Nummernmonsignore bei der Modenschau der Bordboutique auftritt – „und das ist auch gut so“, insistiert wiederum der Konsul, in dieser Hinsicht ziehe er unsre Reise bei weitem vor. Umso mehr, da sie nach zwölf Uhr mittags neuerdings, wenn wir mit Qat-Kauen beschäftigt sind, einen besonderen Schwung bekommen hat, wir lagern möglichst malerisch auf den Holzplanken des Lido-Decks, die freie Hand auf dem Knauf unsrer Dolche, und sprechen mit vollen Backen. Wenn wir dann das Zeug nach vier schönen Stunden, restlos ausgesaugt, auf die Planken spucken, kommen wir uns genauso wichtig vor wie früher, wenn wir einen Decksteward scheuchen konnten.