Der Jogger als Lifestyle-Ikone und tragische Figur

Der Jogger als Lifestyle-Ikone und tragische Figur

erschienen/erscheint bei:

gek. u.d. (absurden) T. „Läuft bei Zuck!“ in: Der Tagesspiegel, 8/1/17

Entstehungszeitraum: 01/12/2016 - 03/01/2017

Leseprobe

Mitte Mai letzten Jahres lief ich durch Paris, 17km in 1:44 Stunden, ziemlich zügig für meine Verhältnisse. Es war die Begeisterung, die mich vorantrieb, die großartige Kulisse, durch die der Lauf führte: von Notre-Dame zum Louvre, durch die Tuilerien und über die Champs Elysées bis zum Arc de Triomphe, von dort zum Eiffelturm, übers Marsfeld und zum Gare Montparnasse, schließlich durch den Jardin du Luxembourg zurück nach St.Germain, wo mich mein französischer Verlag einquartiert hatte.
Nun könnte man meinen, daß man beim Laufen von all den Herrlichkeiten, die man passiert, kaum etwas mitbekommt. Das Gegenteil ist der Fall. Noch heute sehe ich meine Pariser Strecke in scharf gestochenen Erinnerungsbildern vor dem inneren Auge – vielleicht sind es gerade diese Bilder, derentwegen ich überall auf der Welt so gern laufe. Nein, ich mache keine Photos dabei, dazu müßte ich ja stehenbleiben. Vor allem würde ich ständig Ausschau halten nach Motiven, würde also ganz anders in die Welt hineinlaufen, als wenn ich es einfach so tue, mit einem Stadtplan in der Hand und sonst nichts.
Eine Szene meines Laufs habe ich in besonderer Erinnerung: Als ich durchs Torgewölbe des Louvre rannte und auf die Glaspyramide zu, die den Eingang markiert, war diese umlagert von hunderten an Jugendlichen. Sie war ein Magnet für Selfie-Tourismus geworden, ich mußte Schlangenlinien laufen. Alle waren sie damit beschäftigt, ihre fröhlichen Gesichter, ihre hochgereckten Daumen und einen Teil der Pyramide als Beweismaterial ins Bild zu bekommen. Das Bizarre der Situation wurde durch die herrschende Lautlosigkeit unterstrichen. Bis ich zurück im Hotel sein würde, war ich mir sicher, würden die Photos längst bei Facebook oder ähnlichen Plattformen gepostet und in der ganzen Welt geliked worden sein.
Wenige Monate später wies mich die Redaktion des Tagesspiegels auf Mark Zuckerberg hin, er stelle regelmäßig Photos auf seine Facebook-Seite, die ihn beim Laufen in aller Welt zeigten. Wieder ein Manager, der sich der Öffentlichkeit als Läufer präsentierte! Man sah ihn vor dem Kolosseum in Rom, vor der Verbotenen Stadt in Peking oder der Sagrada Família in Barcelona, begleitet meist von einem schwarzen Mit-Läufer und einer Reihe Bodyguards. Laufen und Reisen, das war eigentlich genau mein Thema […]