(Ex-)Reiseweltmeister
(Ex-)ReiseweltmeisterWas wir in der Fremde über uns selbst erfahren
Andreas Fahrmeir (Hg.): Deutschland. Globalgeschichte einer Nation. München: C.H.Beck 2020.
„Where you from?“ Das ist die Frage, die ich auf meinen Reisen am häufigsten zu beantworten habe, in einem Land wie Indien wird sie mir ständig vom Straßenrand zu- und hinterhergerufen. Mitunter war ich’s leid und versuchte, ein wenig Abwechslung ins immergleiche Ritual zu bringen; doch bei den Einheimischen ging ich allenfalls als Engländer oder Amerikaner durch. Schon als Däne konnte ich nicht mehr überzeugen, als Franzose war ich völlig unglaubwürdig. Manchmal ließ ich den Fragesteller raten, erschreckend oft wurde ich als Deutscher erkannt. Erschreckend? Nunja, in den 70er-Jahren wollte auch ich nicht unbedingt als Deutscher erkannt werden. Und war dann jedesmal überrascht und nicht selten beschämt, wie positiv man über mein Land dachte.
Natürlich habe ich überall erst mal die gängigen Klischees zu hören bekommen. Zwar werden über „die Deutschen“ weltweit die Köpfe geschüttelt und Witze gerissen, dessen ungeachtet zählen sie in den einschlägigen Umfragen seit Jahren zu den beliebtesten Touristen. Entsprechend hohe Wertschätzung genießt Deutschland. Die Hochachtung gilt Autos mit und ohne Stern, deutschen Fußballmannschaften, deutschem Bier und dem Oktoberfest; in einem Land wie Japan auch der klassischen Musik und dem Weihnachtsmarkt, der dort während der Adventszeit in jeder größeren Stadt nachgebaut wird.
Zur allgemeinen Beliebtheit der Deutschen paßt gut, daß sie sich jahrelang als Reiseweltmeister feiern durften, also als die Nation, die am meisten Geld für Auslandsreisen aufbringt – und sich weiterhin feiert, obwohl sie 2012 von den Chinesen und mittlerweile auch von den US-Amerikanern überholt wurde. Was statistischen Beweischarakter zu haben scheint, ist allerdings von ebenso beschränkter Aussagekraft wie die immergleichen Klischees über die Deutschen. Erst dahinter wird es spannend – im unverhofften Gespräch mit Einheimischen, die oft ganz andere Ansichten über Deutschland äußern als die, die in den Medien kursieren. Was diese differenziertere Wahrnehmung der Deutschen im Ausland betrifft, vermeine ich im Rückblick drei Phasen zu erkennen […]