Fremdschämen für die Kunst

Fremdschämen für die KunstKleiner Selbsterfahrungstrip durch Hamburg auf einem Sofa

erschienen/erscheint bei:

gekürzt in: Hamburger Abendblatt, 5/8/10; mit Nachschrift 13/6/11 für Buchpublikation.

Entstehungszeitraum: 22/07/2010 - 01/08/2010

Leseprobe

Es ist soweit, Josef Trattner fährt vor, auf dem Autodach ein rosa Schaumstoffsofa, das er von Wien nach Hamburg transportiert hat. Heute will er damit „die Stadt möblieren“, wie er sich ausdrückt, ausgerechnet ich soll ihn dabei als eine Art literarischer Kronzeuge begleiten. Dabei möchte ich jetzt nur eines: auf der Stelle in den Boden versinken.
Denn was Sofakunst im öffentlichen Raum für mich an potentiellen Verlegenheiten in petto führt, habe ich mir als geübter Fremdschämer weidlich ausgemalt. Dabei ist der Künstler, der sich mir vor Wochen augenzwinkernd als Michelangelo Trattner vorstellte und im Verlauf eines fidelen Abends in seinem Atelier zunehmend als Schaumstoff-Josef entpuppte, dabei ist der Künstler ein durch und durch sympathischer, freundlicher, obendrein witziger Mensch, der jeden Zwischenfall gewiß ohne rote Ohren meistern wird; eigentlich könnte ich ganz entspannt sein.
Denn er hat sie ja bereits gemeistert: All das, was bei Sofa-Installationen in österreichischer Berg- und europäischer Stadtlandschaft überhaupt an Reaktionen erfolgen kann, es ist längst erfolgt, wie Trattner bereitwillig erzählt: von wütenden Protesten bis zur mutwilligen Zerstörung, vom sukzessiven Zerrupfen durch Tiere bis zum Platzverweis durch die Obrigkeit, von hartnäckiger Inbesitznahme durch Penner bis zum Versuch einiger Punks, das Sofa abzufackeln […]