Haltung finden
Haltung findenWeshalb wir sie brauchen und trotzdem nie haben werden
J.B. Metzler, Stuttgart am 18.9.2019
Klappenbroschur
105 S.
incl. Ebook 14,99 € [D] │ 15,35 € [A] │ 16,50 SFR
ISBN: 978-3-476-04981-0
Weitere Formate und Veröffentlichungen
E-Book "Haltung finden."
Erscheint am 18.9.2019 bei J.B. Metzler, Stuttgart
105 S.
Ist beim Kauf der Print-Ausgabe im Preis enthalten
ISBN: 978-3-476-04994-0
Separater Download des E-Books für 9,99€ unter:
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Über das Buch
„Die Verteidigung der Demokratie – nämlich der grundsätzlichen Freiheit des gesellschaftlichen Gesprächs ohne Vorabdiskriminierung und -verurteilung –, fängt nicht ‚irgendwo da oben’ an, wo man sie an Parteien, Medien und Institutionen delegieren kann. Sie beginnt in unserem Alltag und bei uns selber, spätestens dann, wenn wir wieder das offene Wort suchen.“
Genau das haben Matthias Politycki und Andreas Urs Sommer getan – und jenseits der politisch korrekten Diskurse, die derzeit die Debatten in Deutschland bestimmen, ein Gespräch über Grundsätzliches geführt, das gelegentlich vor Tagespolitischem nicht zurückschreckt. Immer wieder stoßen sie dabei auf überraschende Wahrheiten – oder vielleicht auch nur Wahrhaftigkeiten? –, deren Abfolge sich wie eine längst überfällige Anleitung zum Selberdenken liest.
Und so unterschiedlich sich Politycki und Sommer selber verorten – als alter Grüner der eine, als anarchischer Konservativer der andere –, finden sie jenseits aller Meinungsunterschiede ausgerechnet dort zueinander, wo sich Meinungen zur Haltung bündeln: zur Haltung, jeden Tag aufs neue und je nach veränderten Umständen aufs neue die eigene Haltung überdenken zu wollen und sie dann auch jenseits der linken oder rechten Mainstream-Diskurse zu vertreten. Nur von dieser undogmatisch liberalen und mitunter kreativ chaotischen Mitte des Denkens aus ist eine lebendige Demokratie am Leben zu erhalten. So ungern man das heute hört: Demokratie braucht Denken – ein Denken jenseits der Denkverbote.
Leseprobe
Vorbemerkung
Wir saßen in einem Münchener Biergarten und kamen auf die jüngsten politischen Entwicklungen zu sprechen. War es nicht so, als ob sich die Verrückten dieser Welt überall als neue Normalität etabliert hatten und nurmehr um die Vorherrschaft ihrer jeweiligen Verrücktheit rangen? Stand man nicht in der Pflicht, sich in diesen emotional aufgeheizten Zeiten zu positionieren, ohne den Stammtischweisheiten des einen oder andern Lagers auf den Leim zu gehen?
Rückbesinnung aufs weltanschaulich ungebundene Fragen erschien uns angesichts des Vormarsches populistischer Antworten bald als das entscheidende Moment, von dem aus sich ein differenziertes Denken und Reden wieder neu entfalten könnte. Die Verteidigung der Demokratie – nämlich der grundsätzlichen Freiheit des gesellschaftlichen Gesprächs ohne Vorabdiskriminierung und -verurteilung –, fängt nicht „irgendwo da oben“ an, wo man sie an Parteien, Medien und Institutionen delegieren kann. Sie beginnt in unserem Alltag und bei uns selber, spätestens dann, wenn wir wieder das offene Wort suchen.
Genau das taten wir an jenem Abend. Schnell waren wir uns einig, daß bereits die schiere Suche nach einer Haltung gegenüber all dem, was wir in letzter Zeit achselzuckend zur Kenntnis genommen hatten, der Ausgangspunkt eines neuen Miteinanders sein könnte, das den einzelnen wieder in die Pflicht gegenüber der Gemeinschaft nimmt. Oder das nun gerade doch nicht? Schon waren wir uns uneins. Und beschlossen, unser Gespräch so lange weiterzuführen, bis wir uns wieder einig sein würden – oder bis die Uneinigkeit ausreichend geklärt wäre.
Haltung finden … War überhaupt irgendetwas dringlicher, als diesen aus der Mode gekommenen moralischen Imperativ zu rehabilitieren? Nicht in einer theoretischen Untersuchung, sondern im lockeren Gespräch – ironisch zuspitzend, da und dort mit Absicht auch übertreibend, eher an Denkimpulsen interessiert als daran, einen Gedanken mit all seinem Für und Wider durchzudeklinieren?
Wir sind beide von Nietzsche geprägt, wir lieben seinen Perspektivismus, das spielerische Betrachten der Welt aus verschiedensten Blickwinkeln, weil wir gerade in der wechselnden Erprobung von Standpunkten die Freiheit des Denkens zu erkennen glauben. Wer Nietzsche ernsthaft gelesen hat, kann kein Ideologe mehr sein, für welche Sache auch immer. Aber er kann auch kein Abwiegler sein, kein Jeinsager. Sondern eher ein Heißsporn der Wahrhaftigkeit, gerade auch, weil er Wahrheit allein als Vielheit von Wahrheiten kennt und vertritt. Das kritisch aufmerksame, wohlwollend freundschaftliche Geltenlassen der Differenz macht eine lebendige Demokratie aus, sobald die Argumente ausgetauscht sind, und gilt es gegen Indoktrinierer jeglicher Couleur zu verteidigen.
Also haben wir nichts abgeschwächt und den Bogen gespannt gelassen. Jeder von uns hat seine ganz eigenen Standpunkte, die wir nicht glattgeredet, sondern, im Gegenteil, gerade in der Differenz zur Position des jeweils anderen erst richtig verstanden haben:
MP: Liebe Linke – wer auch immer sich von diesem Oberbegriff angesprochen fühlt, ob er nun einer der linken Parteien und Splittergruppen angehört oder sich aufgrund seiner Einstellungen und Ideale als solcher empfindet!
Ich war schon ein Grüner, bevor die entsprechende Partei gegründet wurde. Es war unsre Haltung als Generation, auch wenn diese Haltung damals noch reichlich unpräzis und umso optimistischer war, jede Diskussion in einer WG-Küche stand unter dem Primat der Weltverbesserung. Dieser Grüne bin ich, jenseits aller parteipolitischen Bindung, bis heute geblieben, gerade auch wenn ich mit dem Kurs der Partei gehadert habe. Mittlerweile hadere ich mit der gesamten Linken – und das als Linker! –, vor allem mit denjenigen ihrer Vertreter, die mich im Alltag als meine eigene Filterblase umgeben. Ich halte es für dringend geboten, ihrer Übergriffigkeit Contra zu geben, ihren immergleichen Maßregelungen und Belehrungen. Natürlich ist die Demokratie vor allem von Rechts bedroht. Aber den Vormarsch der Rechten zu verhindern, sind wir – und ich sage ganz bewußt: wir – alle zusammen und jeder auf seine Weise eifrig bemüht. Meine Haltung hierzu war immer eindeutig und wird es immer sein. Hingegen sehe ich Gesprächsbedarf sehr wohl dort, wo das offene öffentliche Gespräch neuerdings von Links bedroht wird und eine längst überfällige Kritik der Linken aus der linken Ecke nottut – nicht zuletzt um die Linke auch für all jene wieder glaubwürdig und attraktiv zu machen, die wir durch die Bevormundungen der letzten Jahre ins gegnerische Lager getrieben haben. Liebe Linke, das tut erst mal weh! Aber genau das ist gute linke Tradition. Und damit verwahre ich mich gegen jeden Versuch, meine Kritik außerhalb der Linken gegen die Linke zu instrumentalisieren. Sie ist an meine Person gebunden, und nur deshalb bringe ich sie in dieser Schärfe vor.
AUS: Liebe Rechte!
Ich bin ein Konservativer, das schon. Aber verwechselt mich nicht, ich bin keiner von Euch – von Euch Rechten, die Ihr seit ein paar Jahren wieder durch Europa geistert. Immerhin halte ich Euch zugute, dass Ihr die politische Landschaft ganz schön aufmischt. Es lohnt sich wieder, für Pluralität und Freiheit einzutreten. Dank Euch und gegen Euch. Es macht wieder Freude, Demokrat zu sein. Mein Konservatismus ist ein Gegenwartskonservatismus: Die seit Schopenhauer und Nietzsche vielgeschmähte „Jetztzeitkultur“ als die beste aller bisher möglichen Kulturen verdient es, gegen die Gebildeten und Ungebildeten unter ihren Verächtern verteidigt zu werden. Wozu mir weder hektischer Aktivismus noch eifriges antifaschistisches Bekennertum auf Kirchentagen oder „Wir sind mehr“-Konzerten zielführend zu sein scheinen. Sondern eine Haltung gelassener Reflexion, die politisch-ideologischen Dogmatismus mit Ironie quittiert. Denn Politik ist ein Feld der vorletzten Dinge, auf dem Letztgültiges und Felsenfestes nicht anzutreffen ist. Nirgendwo übrigens. Das schreibt Euch, liebe Rechte, hinter die Ohren! Mal sehen, wie viel „rechts“ dann bei Euch übrigbleibt.
MP & AUS, 3/3/2019
Über Andreas Urs Sommer
Andreas Urs Sommer, 1972 geboren, stammt aus der Schweiz, lebt in einem Dorf bei Freiburg im Breisgau und ist Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Kulturphilosophie an der Albert-Ludwigs-Universität. Als Leiter der Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hat er einige Werke Nietzsches kommentiert.
Da er Philosophie für etwas hält, was alle angeht, hat er eine Reihe populärerer Bücher geschrieben – u.a. „Die Kunst des Zweifelns: Anleitung zum skeptischen Denken“ (Beck’sche Reihe, 2007) und das „Lexikon der imaginären philosophischen Werke“ (Die Andere Bibliothek, 2012).
Photo © Annette Sommer
Pressestimmen
„Darin besinnen sich zwei an Nietzsche geschulte Geister „aufs weltanschaulich ungebundene Fragen“ und beleben den „alten moralischen Imperativ“ Haltung finden wieder, indem sie ihre unterschiedlichen Standpunkte nicht glattreden, sondern ausdifferenzieren.“
(Beat Mazenauer, literaturkritik.de, 18/5/20)
„Der Reiz der Erörterung liegt in ihrer Beweglichkeit. […] Letzte Wahrheiten finden sich daher nicht in dem schmalen Bändchen, provokante […] und instruktive Überlegungen zu Themen wie Zivilcourage oder Freiheit hingegen zuhauf.“
(Kai Spanke, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27/3/20)
„Das Interessanteste an dem Buch fand ich, daß man auch zuviel Haltung haben kann – das hat mich echt … irgendwie angebohrt.“
(Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 18.2.2020)
„Politycki und Sommer zeigen, daß zwei Menschen auch gepflegt unterschiedlicher Meinung sein können. […] Aus Gegensätzen und Widersprüchen kann tatsächlich etwas entstehen – wenn man sich nicht an sein Weltbild klammert.“
(Patrik Müller, Badische Zeitung, 30/10/19)
„Gegen das Denken in der Eindimensionalität, für eine Debatte, die gerade dann beginnt, wenn andere sagen, daß sie endet, und für die Vielfalt der Sprache, aus der sich dann ja erst die Schönheit der Sprache ergibt.“
(Gabor Steingart, Steingarts Morning Briefing/Der Podcast, 19/10/19,
https://www.gaborsteingart.com/der-podcast)
„Zwei wache Köpfe, die sich in einem Biergarten festgeredet haben – verschiedene politische Ausrichtungen, eine Idee: zu einer Haltung zu finden zwischen den Stereotypen von Rechts und von Links.“
(Katrin Seibold, Kulturzeit/3sat, 17/10/19)
„Eine Art Anleitung zum Selberdenken“
(Die Welt, 14/10/19)
„In dem Buch ‚Haltung finden’ streitet er [M.P.] im besten, nämlich demokratischen Sinne mit dem konservativen Philosophen Andreas Urs Sommer über Grundsätzliches und Tagespolitisches.“
(Szene Hamburg, Oktober 2019)
„Eine Streitschrift wider den Mainstream und die politische Korrektheit als Religionsersatz“
(Gabor Steingart, Steingarts Morning Briefing/Der Podcast, 15/10/19,
https://www.gaborsteingart.com/der-podcast)
„Ein Grüner der ersten Stunde, der den Linken die Leviten liest, und ein ironischer Konservativer, der dogmatischer Erregung mit Gelassenheit begegnet – Politycki und Sommer diskutieren offen, zuweilen auch polemisch zuspitzend.“
(Thüringer Allgemeine, 30/9/19)
„Buch der Woche“
(Freitag, 30/9/19)
„Im Ton eher locker und hemdsärmelig, jedes Pathos unterlaufend, reden sie, wie sie es als streitbare Geister von sich erwarten […]: mit spürbarem Interesse an der der Differenz. Und das macht es spannend. […] Im spielerisch sich herausfordernden Weiter- und Umdenken entsteht eine geradzu vergnügte intellektuelle Lebendigkeit, die gegen Eifer aller Art ebenso immun ist wie gegen populistische Erregungspotentiale oder moralinsaure Gewissensprüfungen.“
(Katrin Wenzel, mdr Kultur, 30/9/19)
„Wer wissen will, ob es zwischen ‚Blasenlinken’ und ‚Neorechten’ eine ideologiefreie Mitte geben kann, ohne ‚aggressiven Moralismus’, ist hier gut aufgehoben. […] Die Autoren […] vertreten keine politischen Lager, sondern plädieren für einen offenen Dialog über die Themen unserer Zeit.“
(Volker Isfort, Abendzeitung, 17/9/19)
„Es sind Fragen, die derzeit nicht gerade wenige Menschen umtreiben. Sozusagen stellvertretend haben Politycki und Sommer sie nun als gemeinsamen Debattenbeitrag formuliert.“
(Antje Weber, Süddeutsche Zeitung, 14./15.9.2019)
„Die üblichen Links-Rechts-Schemata verfangen bei diesem Diskurs nur selten“
(Jürgen Abel, Literatur in Hamburg, Oktober 2019)
„Mittenhinein in die derzeitigen Debatten sticht dieses Buch“
(Süddeutsche Zeitung, 12/9/19)
Termine
Die Buchpremiere fand am 17.9.2019 in der Reihe „Salon Luitpold“ im Münchner Café Luitpold statt.
Videos
Winfried Kretschmann und Matthias Politycki – Haltung finden (Zusammenschnitt)
Zum Mitschnitt des gesamten Gesprächs
Beitrag von 3sat, Kulturzeit, 17.10.2019, von der Frankfurter Buchmesse
Buchpremiere im „Salon Luitpold“, München, am 17.9.2019
Gemeinsam mit Andreas Urs Sommer und Wilhelm Vossenkuhl (Mod.)
Aus dem Inhalt
+++Vorbemerkung+++Haltung als Programm, Haltung als Spiel+++Verkrümmungsdruck und großes Gliederstrecken+++Eine altmodische Haltung der Mitte+++Aufklärung 6.0 oder Wohlige Horror-Abende mit der Tagesschau+++Die Verschweizerung Europas als Idee und Erscheinung+++Schlechte Laune beim Lesen von Nachrichten+++Blaubeeren, Tannenzapfen, deutscher Alltag+++Haltungswiderstand und Widerstandshaltung+++Intellektuelle als Problematisierungskünstler+++Glück und das neoliberale Recht auf Unglück+++Bonuspunkte für Herdentiere+++Gleichgültigkeit als Fokussierungskraft und entfesselte Egozentrik+++Bauchgrimmen+++Durchgangswege+++Haltungsbegriffe und Begriffshaltungen+++Gewohnheit versus Haltung+++Die beste aller Welten?+++Schwertkampf+++Der Nachbar als Bösewicht+++Die Grenze der Anderen+++Auf dem Grill der eigenen Weltanschauung+++Weltveränderungsworte, Leidenslust+++Grenzprobleme+++Kamel – Löwe – Lemming+++Was Europa sein will, und was es ist+++Haltung als Selbstbehauptng+++Rein in die Tonne? Raus aus der Tonne?+++Japan+++Sprachpurismus, Selbstzensur, Sprache hinter der Sprache+++Zivilcourage oder ziviler Ungehorsam+++In den Pumpensümpfen deutscher Befindlichkeit+++Freiheit wovon, Freiheit wozu+++Und nun Hand aufs Herz+++