Haltungsschaden

HaltungsschadenWie wir mit der richtigen Gesinnung permanent das Falsche befördern

erschienen/erscheint bei:

Vortrag, gehalten am 10.12.2019 im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema „#anstanddigital. Welche Haltung und Umgangsformen braucht das Netz?“, veranstaltet von der Katholischen Akademie in Berlin und dem Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche Nord, Berlin; https://www.youtube.com/watch?v=_0YnqJ3lM_w ; in: Cicero, Februar 2020.

Entstehungszeitraum: 22/10/2019 - 13/12/2019

Leseprobe

„Kann man diese rechten Arschlöcher nicht mal ausbürgern, für ein Jahr nach Mali schicken, zurückholen, in ein Asylheim stecken und anzünden?“ Wir sind uns alle einig, daß wir etwas gegen die ständigen Regelverletzungen der Rechten unternehmen müssen; aber Haß und Gewaltphantasien, wie in dem eben zitierten Tweet eines Journalisten, gibt es auch von Links, und nicht erst bei Antifa und Klimaaktivisten. Es ist beschämend, dies als Linker festzustellen; als alter Grüner habe ich jedoch zu Studentenzeiten gelernt, daß die Fähigkeit zur Kritik auch immer an der eigenen Position geschult werden sollte. So will ich die Gelegenheit nutzen, um über die Linke als Teil des Problems zu reden, deren Lösung sie zu sein behauptet; aber das soll nicht mißverstanden werden: Mit der Rechten würde ich mindestens in gleicher Vehemenz abrechnen, wenn es – zum Glück – nicht ohnehin in aller wünschbaren Deutlichkeit geschähe.

Zum ersten Mal versuchsweise ausgegrenzt wurde ich 2001 auf einer Germanistentagung in South Carolina, an der Universität von Columbia. Nach meinem Vortrag meldete sich eine Professorin zu Wort und monierte das Fehlen eines weiblichen Standpunkts in meinen Darlegungen. Ich empfand den Vorwurf damals noch als unfreiwillig komisch, schließlich hatte ich über mein eigenes Schreiben referiert; aber sie legte deutlich aggressiver nach, selbst beim Häppchenempfang am Abend erneuerte sie ihren Vorwurf. Mehr aber auch nicht! Es ging ihr nicht um eine Diskussion, sondern nur darum, daß ich meinen Fehler einsah, sie wollte Recht bekommen. – Nach einer Podiumsdiskussion zum Thema „Politische Korrektheit“ vor wenigen Wochen bei der Nietzsche-Tagung in Naumburg warf ein Zuhörer allen Diskutanten eine rechte Gesinnung vor; schon die bloße Verwendung des Begriffs „politische Korrektheit“ sei nämlich rechts. Auf meinen Einwand, mich noch gut daran zu erinnern, wie der Begriff während der 90er gerade von der Linken aus den US-Debatten importiert wurde, ging er nicht ein. Stattdessen verwies er auf verschiedene Links im Netz, die würden mich eines Besseren belehren.

Zwei Fälle, ein und dasselbe Prinzip: […]