Landpartie

LandpartieHellmuth Opitz – „Nerven blank“

erschienen/erscheint bei:

FAZ (Frankfurter Anthologie), 31/1/15; http://www.faz.net; u.d. T. „Eine Landpartie“ in: Frankfurter Anthologie. Bd. 39. Hg. H. Spiegel. Frankfurt (Fischer) 2016.

Entstehungszeitraum: 03/04/2014 - 18/04/2014

Leseprobe

Hellmuth Opitz ist der Frauenflüsterer unter den zeitgenössischen Poeten; auch mit seinen Dinggedichten besetzt er altes lyrisches Terrain neu. Und dann gibt es bei ihm immer wieder Texte, die scheinbar ziellos in unsre banale Alltagswirklichkeit hinausschweifen und zwischen Rohbauten, in Reihenhaussiedlungen oder einem leeren Schulhof aufregend Schräges entdecken. Auch „Nerven blank“ kommt ganz schlicht daher – ein Sommerabend auf dem Lande, was sollte davon nach Jahrhunderten an Naturlyrik noch zu berichten sein? Und dann führt die Lektüre von einem Extrem zum andern, man ist danach tatsächlich ein bißchen benommen.
Da fährt einer im Auto durch nichts als Gegend, aber weil er und sein(e) Beifahrer mit „blanken Nerven“ durchs Fenster hinaussehen, lädt sich eine ganz normale Abendstimmung unversehens mit Bildern und Chiffren auf, die ihr eine immense Bedeutung verleihen. Es beginnt katholisch weihevoll, mit einer „Abendlichtmesse“; und selbst wenn sich die Erscheinung, die man im Gegenlicht zu haben glaubt, dann doch „nur“ als eine Prozession von Mähdreschern entpuppt, ist das Bild vom „Heiligenschein aus Strohstaub“ so wunderbar neu und treffend, daß man sich bei eignen zukünftigen Landpartien im entscheidenden Moment gewiß daran erinnern wird.
Doch leider geht die Fahrt weiter, und an der Symmetrieachse des Gedichts, in der vierten Strophe, kippt die Stimmung in ihr Gegenteil. Auch hier beginnt es ganz beiläufig (…)

##Hellmuth Opitz##
#Nerven blank#

Wie gespannte Überlandleitungen,
während der Juli wie üblich
seine lange Abendlichtmesse las.

Einer von uns hatte eine Erscheinung,
doch bei näherem Hinsehen
war es nur eine Prozession

von drei Mähdreschern, saatengrün
leuchtend gegen die Dämmerung
mit dem Heiligenschein aus Strohstaub.

Hinter der nächsten Kurve plötzlich
die Schranke eines Bahnübergangs,
die herabfiel wie eine Filmklappe

und auf einmal eine ganz andere
Einstellung: Stille, in die sich
der nahende Güterzug mischte.

Im Vorbeirauschen sagte einer
leere Viehwaggons und diese Worte
hallten noch nach im Fond, als

der letzte Waggon längst durch war:
Wie automatisch die Signale hoch gingen
und die Gedanken weiter ratterten.

© Hellmuth Opitz: Aufgegebene Plätze. Verlorene Posten. 14 Gedichte mit Graphiken von Johannes Nawrath. Limitierter Privatdruck Carl-Walter Kottnik, Hamburg 2013. 32 S., 8 €; zu beziehen über #http://hellmuth-opitz.de# und #http://www.johannes-nawrath.de#