Matthias Politycki
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Literatur und Politik nach 1968 und in der Gegenwart

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Literatur und Politik nach 1968 und in der GegenwartEin Vortrag

erschienen/erscheint bei:

Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn
18. März 2019

Typografie Rainer Leippold
32 Seiten. Format 14 x 23 cm
Klappenbroschur, Fadenheftung
€ 12,–

Bezug über http://www.verlag-ulrich-keicher.de

PDF / Druck
Entstehungszeitraum: 28/05/2018 - 27/06/2018

Weitere Formate und Veröffentlichungen


Vortrag im Rahmen der Tagung zu Walter Müller-Seidels 100. Geburtstag „Die gegenwärtige Situation der Germanistik und ihre Vorgeschichte seit 1945“, Veranstaltung der Ludwig-Maximilians-Universität München in Kooperation mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 27/6/18; in bzw. auf https://literaturkritik.de, 9/7/18 und literaturkritik.de Nr. 7 – Juli 2018 [Printausgabe].

Leseprobe

Hätte man mir das Thema Literatur und Politik vor 30 Jahren gestellt, 1988, als ich meinen ersten Roman und einen ersten Gedichtband veröffentlicht hatte, mein Vortrag wäre kurz ausgefallen und auf eine Korrektur der Themenstellung hinausgelaufen: Literatur oder Politik, so sah ich es damals.
Denn ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der nahezu jeder Lebensbereich politisiert war. Im Religionsunterricht wurde alles diskutiert, was uns dem Paradies auf Erden gerade irgendwo auf der Welt einen Schritt näher gebracht hatte – oder eben nicht. Auch unser Deutschlehrer war ein 68er. Wenn Willy Brandt bei seiner Ostpolitik einen entscheidenden Kniefall vorangekommen war, wurde die ganze Schulstunde lang debattiert. In der nächsten Deutschstunde ging’s dann weiter mit vorzugsweise Frisch, Dürrenmatt oder Böll, natürlich unter besonderer Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Als wir zum ersten Mal ein Referat über einen Gegenwartsroman halten sollten, bekam ich die „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz zugeteilt. Übrigens fand ich Lenz viel besser als Böll und sparte mein Taschengeld, um mir weitere Bücher von ihm zu kaufen. Weil ich aber einen sehr guten Deutschlehrer hatte, nahm er mich irgendwann mal beiseite und empfahl mir, zusätzlich zu Böll und Lenz die frühen Dramolette von Hofmannsthal zu lesen. Das war es, was ich wirklich wollte, Sprache als Musik! Hier mußte nichts auf gesellschaftliche Relevanz befragt werden, man konnte sich einfach daran berauschen.
Trotz der Prägung durch meine Lehrer wurde ich selber kein später 68er, sondern bekennender 78er, also einer, der sich in einer Generationsdebatte, ausgelöst durch den „Weiberroman“, sogar dezidiert von den 68ern abgrenzte. Wir, also die etwa 1952 bis 1962 oder vielleicht auch bis 1965 Geborenen, waren zwar auch irgendwie links, von der Hoffnung auf eine bessere Welt beseelt, allerdings auf eher unideologische Weise. Erst spät begriffen wir uns als „Grüne“, weil es diese Partei bis 1980 noch gar nicht gab und also auch kein Etikett, das wir uns hätten anheften können. Wir sammelten Altpapier und diskutierten nächtelang in WG-Küchen, statt auf Demos zu gehen – das fanden wir uncool. Kritisches Bewußtsein hatten wir trotzdem reichlich, und ausdiskutiert wurde auch bei uns alles und mit jedem. Im Grunde ist mein linksliberalgrünes Grundfundament, das sich während meiner Studentenjahre herausbildete, bis heute dasselbe geblieben, auch wenn ich als Stammwähler längst für alle Parteien verloren bin.

*

Aber wo habe ich mich dann wiedergefunden? Als Assistent am Lehrstuhl von Wolfgang Frühwald hielt ich 1988 mein erstes Proseminar über Nietzsche – und aus Stuttgart reisten die allerletzten Vertreter der Roten Zellen an, um Woche für Woche zu stören. Ihre Argumentation lief stets nach demselben Muster ab und bestand aus reiner Rhetorik. Irgendwann fing ich sie vor der Tür des Hörsaals ab und forderte sie auf zu verschwinden – was sie erstaunlicherweise taten.
War ich bis dato vielleicht trotz aller Selbststilisierung ein unfreiwilliger Nachfahr der 68er, so öffneten mir die wenigen Wochen mit den Roten Zellen die Augen über die Linke, jedenfalls sofern sie sich dogmatisch verstand und auf arrogante Weise Volkserziehung betrieb. Ich blieb auf meine eigene Weise links, eben „irgendwie grün“, und auch das nur als Bürger. Ein linker Schriftsteller hatte ich nie sein wollen. Im Gegenteil, bis 1994 verstand ich mich als experimenteller Autor, in meinem Erstling ging es um die Farbe der Vokale, das sagt bereits alles. Als mir nach meiner ersten Lesung einer der Zuschauer die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz des Romans stellte, antwortete ich frankweg, die gebe es nicht, warum auch. Nach der Lesung nahm mich Antje Kunstmann, meine damalige Verlegerin, ins Gebet. In Zukunft solle ich bitte antworten, ausnahmslos alles, auch die Farbe der Vokale, habe gesellschaftliche Relevanz. Daran habe ich mich für den Rest meiner Lesereise gehalten.
Geglaubt habe ich es nicht, dazu wollte ich zu sehr Avantgarde sein. Und außerdem, auch das ist nicht unwichtig im Hinblick auf heutige Zeiten, außerdem kümmerten sich damals ganz andre Kaliber ums politische Tagesgeschäft: Solange Helmut Schmidt Bundeskanzler war, war ich auf völlig irrationale Weise sicher, daß er immer alles im Griff behalten würde. Unser Lebensgefühl war nach wie vor von Willy Brandts Entspannungspolitik geprägt, also einer Vision, die jede Tagespolitik überstrahlte. Selbst als Helmut Kohl nachfolgte, war er immerhin noch ein Garant – einer von vielen –, daß die Welt nicht übernacht aus den Fugen geraten würde. Als politisch wacher Bürger konnte man sich weidlich an ihm abarbeiten, als Schriftsteller durfte man sich getrost den abgehobensten literarischen Experimenten widmen – Literatur oder Politik.

[…]

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