Macht und Ohnmacht der Literatur als grenzüberschreitendes Medium in einer globalisierten Welt
Macht und Ohnmacht der Literatur als grenzüberschreitendes Medium in einer globalisierten Welt
Rede, auf Engl. gehalten im Rahmen des Interlingual Dialogue: Literature Confronts the Community of shared future for mankind der Lu Xun Academy in der Beijing International Studies University, Peking, 19/4/19.
In Grußadressen zur Eröffnung internationaler Poesiefestivals wird die Rolle der Literatur gern als grenzüberschreitend und völkerverbindend beschworen. Aber wie sieht das konkret aus? Welche Grenzen lassen sich literarisch überschreiten, und was genau wird da verbunden?
Auf dem Festival of Poetry & Liquor in Luzhou (April 2019) las der walisische Lyriker Ifor ap Glyn ein Gedicht auf Walisisch. Ich verstand kein Wort; Reimung und Rhythmus erkannte ich gleichwohl – immerhin! Was mögen die chinesischen Zuhörer verstanden haben, als ich mein Gedicht “Leeres Glas“ vorlas, sofern sie nicht gerade telephonierten oder Wechat-Nachrichten schrieben? Reime gibt es darin keine; und der Rhythmus ist bei einem Gedicht in freier Versform viel schwieriger zu erspüren als bei einer der klassischen Lyrikgattungen. “Leeres Glas“ beschreibt einen Mann in einem offensichtlich bayerischen Gasthaus, der als letzter Trinker des Abends übriggeblieben ist. Um ihn herum werden bereits die Stühle auf die Tische gestellt, um das Gasthaus zu schließen, doch noch immer rührt er sich nicht vom Platz. Will er nicht gehen, weil er zu Hause noch einsamer ist als hier?
Schon die Übersetzung dieser Situation ins Englische wirft Probleme auf [
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