Naturlyrik, Stadtlyrik, Liebeslyrik, Lebenslyrik

Naturlyrik, Stadtlyrik, Liebeslyrik, LebenslyrikWarum ich Gedichte schreibe und was ich mir dabei wünsche

erschienen/erscheint bei:

Peking University Humanities Lecture an der Peking University, gehalten am 17/10/18.

Entstehungszeitraum: 07/10/2018 - 17/10/2018

Leseprobe

Eigentlich wollte ich gar kein Schriftsteller werden, sondern Schlagzeuger. Ich wuchs am Stadtrand von München auf, da ging es sehr geordnet und beschaulich zu, umso spannender stellte ich mir das Leben in einer Rockband vor. Als ich jedoch 16 war, verliebte ich mich, und ausgerechnet in das Mädchen, in das sich alle anderen gleichfalls verliebten, auch meine Freunde. Weil ich plötzlich niemanden mehr hatte, mit dem ich reden konnte, begann ich, heimlich zu schreiben – Gedichte natürlich, bald auch Erzählungen. Schreiben half immer, wenn der Liebeskummer allzu groß wurde, man konnte sich an den Worten berauschen und, sobald das Gedicht fertig war, damit trösten. So ging es eine Zeitlang, doch irgendwann hielt ich es einfach nicht mehr aus und verriet meinem besten Freund, daß ich Gedichte geschrieben hatte. Sofort gestand er mir, daß er es ebenfalls getan hatte, und binnen weniger Tage bekannten auch einige andere aus unsrer Clique, daß sie es zumindest versucht hatten.
Seitdem trafen wir uns alle wieder, die wir ursprünglich nur miteinander Fußball gespielt hatten, und lasen uns unsre Gedichte vor. Am liebsten schlugen wir uns dazu abends in die nahen Wälder, manchmal hatte jemand eine Flasche Wein aus dem Weinkeller der Eltern geklaut, manchmal lagen wir auch nur unter den Bäumen und guckten hoch in den nächtlichen Himmel und die Wipfel, wie sie sich als schwarze Schattenrisse im Wind bewegten. […]