Nie wieder Mozzarella mit Tomaten!

Nie wieder Mozzarella mit Tomaten!Wie sich drei Wochen EHEC-Epidemie auf den deutschen Alltag ausgewirkt haben

erschienen/erscheint bei:

gekürzt auf Englisch auf http://www.bloomberg.com

Entstehungszeitraum: 07/06/2011 - 08/06/2011

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englisch (englisch/english) 

Leseprobe

Die Lage ist ernst, todernst, keine Frage. Sie ist aber gleichzeitig auch auf kuriose Weise heiter: Wie bei allen nationalen Katastrophen fallen die Darbietungen der Offiziellen zumeist unter „absurdes Theater“, wir erleben eine fortwährende Parade der Inkompetenz, die jeden Tag mit dem immergleichen Bierernst dargeboten wird. Und wie bei Schweinegrippe, Vogelpest, Rinderwahnsinn und all den anderen Epidemien, die sich schon einmal als Feind in unserem Essen versteckt und uns heimgesucht haben, versuchen die Medien, vor allem ihr eigenes Kapital daraus zu schlagen. Die Stunde der Experten schlägt 24 Mal am Tag, wir sind mittlerweile gewillt, alles und jedem Glauben zu schenken. Wir, der ganze große Rest an Dilettanten, die es trotzdem besser wissen; und längst sind wir dabei in ein herzliches Geplauder geraten: Was früher die unverbindlichen Wortwechsel übers Wetter waren, sind nun höchst verbindliche Fachgespräche über die wechselweise Verdauung, auch Zufallsbegegnungen werden nicht verschont. Jeder befragt, beruhigt und berät jeden, aber jeder beeilt sich auch zu versichern: Oh ja, er/sie habe schon vor Tagen … und wenn er ehrlich sei, so drücke ihn auch heute noch (oder schon wieder) da oder dort (oder überall) der Bauch. In klaren Worten: Eine ganze Nation definiert sich dieser Tage über ihren Stuhlgang.
Nicht uninteressant, was man dabei plötzlich über seinen Mitmenschen erfährt. Vor allem aber über sich selber. Hatte ich mir nicht vorgenommen, mich von der Panikmache der Medien keineswegs anstecken zu lassen? Schließlich wohne ich in Hamburg, im Zentrum der ganzen Misere – ob Gurke, Tomate oder Sojasprosse, die ersten Verdächtigen tauchen regelmäßig bei uns und den Gemüsebauern in unserem Umland auf, gewiß also auch auf unserem Wochenmarkt, wo meine Frau so gerne einkauft. Sollen wir jetzt etwa nur noch Tomaten aus Neuseeland oder Zwieback mit Trockenobst essen? Wo wir doch dem Zeitgeist huldigen und regionale Produkte, frische Produkte, gesunde Produkte bevorzugen?
Doch dann stehe ich mittags bei meinem Stammtürken in der Dönerbude, und er fragt mich auch heute: „Mit alles?“
Ich nicke gedankenlos, sehe ihm gedankenverloren zu, wie er neben Fleisch und Zwiebeln auch kleingehackte Gurken und Tomaten in meine Dönertasche schiebt, schrecke im nächsten Moment jedoch zusammen, als an meiner Statt einer neben mir barsch das Wort ergreift:
„Wiiie, du willst uns wohl vergiften?“
Der Kerl ist riesig, halbnackt und tätowiert, zum Glück hat er den Türken hinterm Tresen gemeint, der auch gleich weiß, worum es geht:
„Mit alles, ich habe gefragt, andere Kunden nehmen mit alles, ist egal.“
Noch ehe ich mich selber zu Wort melden kann – schließlich geht es ja um meinen Döner –, erteilt der Kerl Weisung, jedes kleinste Stückchen Gurke oder Tomate wieder aus meinem Döner herauszuklauben.
Nichts ist jetzt mehr egal, er hat wohl recht. Dunkles Gemüse, böses Gemüse – womöglich. Ich lächle den tätowierten Kerl dankbar an. Der beachtet mich gar nicht, lobt den Dönerbrater, bestellt dann freilich für sich selber ein Döner „mit alles“, einschließlich Tomaten und Gurken, so einer wie er halte das aus (…)