Sprachrituale, die der Zeitgeist vorgibt
Sprachrituale, die der Zeitgeist vorgibtUnd was das für den Schriftsteller bedeutet
Christiane Lembert-Dobler, Manfred Rothenberger, Anne Schuester, Sebastian Seidel, Stephanie Waldow (Hg.s): Literatur u. Engagem., Fürth: starfruit publications (VfmK Verlag für moderne Kunst) 2021
Seit einigen Jahren ist der Appell an „das Engagement unsrer Zivilgesellschaft“ – seit Corona auch gern an „die Solidarität unsrer Zivilgesellschaft“ – zum festen Bestandteil einer jeden Verlautbarung geworden, die sich, unabhängig von ihren Inhalten, in der guten weltanschaulichen Ecke verorten möchte. Die gute weltanschauliche Ecke, das ist die vielbeschworene „Blase“ aus irgendwie „linken“ und in der Regel „grünen“ Repräsentanten einer neuen Bürgerlichkeit, deren intellektuelle Dreh- und Angelpunkte Universitäten und Medien bilden. Ich selbst gehöre dieser Blase an, daher kenne ich sie gut. Wenn ich jedoch nach einem längeren Auslandsaufenthalt zurückkehre in meine Blase, erkenne ich mit den Augen des Fremden jedes Mal, wie klein sie tatsächlich ist, wie eng und selbstherrlich.
Ihre Sprecher verwenden dieselbe Methode des „Framings“, die sie ihren Gegnern vorwerfen. Was bei jenen letztlich auf Volksverhetzung hinausläuft, läuft bei den ritualisierten Sprechakten aus der linken Ecke auf Volkserziehunghinaus: auf Vereinnahmung durch positive Schlagworte und damit verbundene positive Gefühle – wer will nicht auch zur Zivilgesellschaft gehören, die soviel Gutes für die Menschheit tut! Tatsächlich gehört er ihr schon an, ehe er den Gedanken zu Ende gedacht hat; der Terminus suggeriert bewußt, es handle sich um die gesamte Gesellschaft. Wer da noch widersprechen wollte, wird durch „klare Kante“ ausgegrenzt.
Dabei ist die vollmundige Umetikettierung der Gesamtgesellschaft zur Zivilgesellschaft nichts weiter als eine Zwangsumarmung der Mehrheit durch eine proaktive Minderheit, ist eine Vereinnahmung, der niemand widerspricht. Verräterisch ist allerdings, daß die Zivilgesellschaft gern in Abgrenzung zum „Staat“ beschworen wird, der überfordert oder per se fragwürdig sei, ein „krankes“ oder historisch überholtes System, weswegen man die Sache lieber selber in die Hand nehme. Dabei ist der Staat nichts weiter als die Verkörperung dessen, was sich in einem langen Prozeß der Zivilisierung herausgemendelt und was die Bevölkerung durch Wahlen immer wieder bestätigt und weiterentwickelt hat. Der Staat ist die in Erscheinung getretene Idee der Gesellschaft zum Status quo – der Gesamtgesellschaft, wohlgemerkt. […]