Warum ich trotzdem über Afrika schreibe
Warum ich trotzdem über Afrika schreibe
u.d.Titel „Warum ich trotz allem über Afrika schreibe“ in: FAZ (Bilder und Zeiten, E-Paper), 29.4.2023; u.d. Titel „Warum ich trotzdem über Afrika schreibe“ auf faz.net, 13.5.2023; zum Artikel (F+)
Vor drei Jahren, am Vorabend des äthiopischen Bürgerkriegs, reiste ich durch das Vielvölkertal des Omo-Flusses, tief im Süden des Landes. In einem Dorf der Suri kam eine Frau auf mich zu, umarmte mich wortlos und ging mit mir ein Stück Wegs, bis sie von meinem einheimischen Begleiter verjagt wurde. In der Kneipe, in der ich anschließend saß, kam sie plötzlich erneut auf mich zu. Man stieß sie weg, riß sie zu Boden, schleifte sie an einem Arm davon. Wenig später wurde sie vor aller Augen mit Stockhieben für ihr Verhalten gezüchtigt.
Als Fremder war ich nicht befugt einzugreifen, ich war zum Zuschauen verdammt. Die ganze Nacht lag ich wach in meinem Zelt, als der Morgen anbrach, wußte ich, daß dieses Erlebnis die Keimzelle meines neuen Romans sein würde.
Die Initialzündung eines Romans ist kein intellektueller Akt und schon gar keine rationale Entscheidung; hier gibt es nichts zu wählen und abzuwägen. Nichtsdestotrotz hat mich die Frage, ob ich als Weißer überhaupt noch einen Roman über Afrika schreiben dürfe, obendrein als Mann, obendrein mit einer Afrikanerin als Protagonistin, drei Jahre lang begleitet, von der Szene im Omo-Tal bis zum Erscheinen des Romans. Und ich höre sie noch immer, bei jedem Interview, bei jeder Lesung.
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