Wo ist überhaupt noch Provinz?

Wo ist überhaupt noch Provinz?Das Oldenburger Land, von Osaka aus betrachtet

erschienen/erscheint bei:

stark gekürzt in: Nordwestzeitung, 20/4/16; gekürzt in: Kulturstiftung Öffentliche Oldenburg (Hg.): Blick zurück nach vorn. 25 Jahre Kulturstiftung Öffentliche Oldenburg 1994-2019.

Entstehungszeitraum: 16/09/2015 - 24/01/2016

Leseprobe

Am Anfang war die Kiste. Gepackt vom Literaturbüro Oldenburg, das mich damit für ein achttägiges Reisestipendium durch eine Terra incognita ausrüstete; zwar ist das Oldenburger Land von Hamburg in einer guten Stunde zu erreichen, tatsächlich aber war ich, abgesehen von den wenigen Stunden rund um eine Lesung, bislang noch nie dort gewesen. Ich hatte die Kiste dringend nötig.
Die Lektüre des Informationsmaterials, das steht rückblickend fest, war der beschwerlichste Teil meiner Reise, eine Art Postkorb-Übung anhand von 10,8kg Werbeprosa – „Lohne lohnt sich“, „Berne mag ich gerne“ – und Vorzeigerouten für Aktivurlauber aller Art samt dazugehörigen „Boxenstopps“. Das Oldenburger Land ist ganz offensichtlich kein Urlaubsparadies für Faulpelze. Ich las von Disco-Nächten in Spaßbädern, von Eventscheunen, Erlebnisdörfern, „Beach Hundefrisbee Jam“ und Draisinenspaß in Westerstede: „Na, Lust auf Draisine?“ Heerscharen an Komikern erwarteten mich, „allesamt auf dem Sprung in die erste Liga der deutschen Lachkultur“, darunter überraschend viele, die sich als Nachtwächter verkleiden und mir ihre Stadt zeigen wollten.
Wie überlebt man die Provinz, dachte ich, ohne verrückt zu werden? Auch das kleine Faltblatt zu den „Top-Highlights 2015“ auf Wangerooge listete Spaßmöglichkeiten „wie Sand am Meer“ auf. Dazu aber auch einen „Seelenpfad“ für all jene, die den Event-Burnout haben; er führt zu „Tafeln mit Gedichten und Liedern, die zur Besinnung und inneren Einkehr einladen“. Aha, dachte ich, darauf also läuft das Tourismuskonzept des Oldenburger Landes hinaus: erst Be-, dann Entschleunigen. Ich beschloß, mich aufs Beschleunigen zu konzentrieren. Erholen konnte ich mich anschließend in Osaka, das kannte ich immerhin schon ein bißchen, so daß ich dort auch mal ein paar Tage zu Hause bleiben konnte ohne das Gefühl, etwas zu versäumen.
Im Herbst 2014 hatte ich dort fünf Wochen als Writer-in-residence verbracht; wenige Tage nach meinem „Oldenburger Landgang“ würde ich zurückkehren, um den Osaka-Marathon zu laufen, eine Buchpremiere zu feiern und ein paar Lesungen zu absolvieren. Alles, was ich an Infomaterial mitnehmen mußte, war in diesem Fall ein Stadtplan. Die Kiste dazu hatte ich bereits im Kopf.
Denn obwohl Osaka, von Hamburg aus betrachtet, am andern Ende der Welt liegt, wußte ich darüber weit mehr als übers Oldenburger Land. Viele Wege war ich schlichtweg abgerannt, so bekommt man am schnellsten ein Gefühl für Distanzen und Strukturen einer fremden Stadt. Im Grunde fühlte ich mich in Osaka, obwohl permanent lost in translation, schon ein bißchen zu Hause; zumindest in „meinen“ Stadtvierteln war ich auch mental angekommen. Durchs Oldenburger Land würde ich, obwohl heimisch in der Sprache, als ein Fremder reisen […]