„Aufwachen und wiederfinden“

„Aufwachen und wiederfinden“Zum Tod von Peter Rühmkorf

erschienen/erscheint bei:

u.d. Titel: Er und kein anderer! auf: Spiegel Online, 9.6.08. http://www.spiegel.de

Entstehungszeitraum: 09/06/2008

Leseprobe

Es ist jetzt ziemlich genau zwanzig Jahre her, daß ich das „Jahrbuch der Lyrik 1988/89“ einer kritischen Sichtung unterzog und unter dem Titel „Wenn du zum Dichten gehst, vergiß die Feile nicht“ im darauffolgenden „Jahrbuch“ rezensierte; im jugendlichen Größenwahn dessen, der just in jenem Jahr seinen ersten eigenen Gedichtband publizierte, wollte ich schier keinen Gefallen an den versammelten Texten finden – mit Ausnahme eines einzigen, der mir freilich so gewaltig ins Gemüt fuhr, daß ich ihn seither nie wieder vergaß: „Aufwachen und wiederfinden“ heißt er, und er legt gleich von den ersten Versen an mit voller Wucht los:

Also gut, dein Unendlichkeitsfimmel,
also schön, mein Sterblichkeitswahn –
Aber oben im Drehkipphimmel
geht das große Lachstreiben an …

Welch ein unwiderstehlicher Sog, nicht wahr? Man will, man muß weiterlesen, und wenn man fertig ist, gleich noch mal von vorn – der Verfasser war schon damals Peter Rühmkorf, und obwohl ich seinerzeit noch gar nicht mal so viel von ihm gelesen hatte, wußte ich sofort: Das ist es, das und nichts andres! Auf der Stelle wurde Rühmkorf nicht etwa nur mein neuer Lieblingsdichter, sondern mit diesem Gedicht (und sukzessive mit weiteren, versteht sich) zur Meßlatte, nach der die Erzeugungen der Gegenwartslyrik zu beurteilen und, leider nur allzu oft, zu verwerfen waren.
Ich hatte damals viel nachzuholen, nachzulesen (…)