Buena Revista Social Club

Buena Revista Social ClubFünfzehn Personen suchen einen Übersetzer – Reise eines Autors zu seinen Romanfiguren

erschienen/erscheint bei:

gekürzt u.d.T. „Kuba revisited“ in: taz („Verleger-taz“), 15/4/06; enth. in: Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft

Entstehungszeitraum: 08/04/2006 - 11/04/2006

Leseprobe

Santiago de Cuba, am südöstlichen Zipfel der Insel malerisch in einer Bucht gelegen, ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was uns Buena Vista Social Club und Gutiérrez-Romane an Kuba-Klischees erfolgreich vorgegaukelt haben: Hier, 1000 Kilometer entfernt von Havanna, ist das Straßenbild in jeder Hinsicht schwärzer als in der Hauptstadt, und unter dem löchrigen Deckmantel eines real gerade noch existierenden Sozialismus herrschen afrokubanische Religionen, von deren Ritualen wir ausgerechnet nur die allerschauerlichsten Voodoo-Versionen mit scheinheiligem Entsetzen zur Kenntnis nehmen.
Als ich mich im Jahre 2002, zwecks Recherche zu einem Roman über ebenjene „dunklen“ Seiten Kubas, für einige Monate in Santiago eingemietet hatte, öffnete man mir bereitwillig Tür und Tor, selbst zum geheimen Kult des Palo Monte, einer Schwesterreligion des Voodoo. Freilich nicht ohne zu betonen, daß man selber gern vorkäme im Roman. Unterm eignen Namen? Ja wie denn sonst, man solle doch erkannt werden! Dann würde man allerdings ausnahmslos in eine dunkle Rolle schlüpfen müssen, drohte ich, das Personal des Romans stehe nämlich schon fest. Kein Problem, freute man sich, Hauptsache …
Also gut. Ohnehin wär’s kaum möglich gewesen, in dieser für einen Westeuropäer rätselhaft chiffrierten Welt frech draufloszufabulieren, die Realitäten in glaubwürdige Fiktionen umzulügen. Zurück in Deutschland, bekam ich ob jenes leichthin gegebnen Versprechens freilich kalte Füße. Der Justitiar meines Verlags formulierte Verträge auf Deutsch und auf Spanisch, in denen die kubanischen Originale der Romanfiguren explizit auf ihre Persönlichkeitsrechte verzichteten; sie kamen mit dem Zusatz zurück, man sei „aus vollem Herzen dankbar, als Figur dieses wunderbaren Romans ausgewählt worden zu sein“. Nun gab es keine Ausreden mehr, nur noch die Grenzen des guten Geschmacks. Die Frage war freilich, wie mein kubanisches Romanpersonal die Verarbeitung zu literarischen Figuren aufnehmen würde, sobald sie in gedruckter Form vorlag – begeistert, reserviert, verständnislos, zornig?
Mit den entsprechenden Bedenken fuhr ich im März diesen Jahres zurück an den Ort der Handlung (…)