Der amerikanische Holzweg
Der amerikanische HolzwegAm Anfang vom Ende einer deutschsprachigen Literatur
als bearb. Auszug aus Blick zurück nach vorn in: Frankfurter Rundschau, 18/3/00
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Wiederabdr. in: Aargauer Zeitung, 6/5/00; enth. in: Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft
Gehts ihr nicht gut, der allerneuesten deutschen Literatur, jetzt, wo wir vor lauter Frolleinwunder, Neuer Deutscher Lesbarkeit, Popliteratur und Renaissance des Erzählens gar nicht wissen, wie wir noch hinterherkommen sollen mit dem Lesen? Oh ja, es geht ihr wieder gut – fragt sich nur, wie lange noch: Steht sie doch unmittelbar vor ihrem Aus, die deutschsprachige Literatur, weil ihr Material nicht nachwächst, weil ihr Grundstoff, die Sprache, in zunehmende Differenz zu dem gerät, was sie abzubilden hat: die Wirklichkeit. Wenn uns aber für immer weitere Lebensbereiche die Wörter fehlen, weil wir zu träge geworden sind, sie für uns neu zu erfinden, ja, weil wir vorhandne Wörter sinnloserweise verramschen und dafür Anglizismen eintauschen, deren im Laufe von Jahrhunderten verinnerlichten Assoziationsklang wir nicht im geringsten abzuschätzen wissen, dann erhalten wir diese Wirklichkeit in immer stärkerem Umfang aus zweiter Hand, aus der Hand dessen nämlich, der sie für uns vorformuliert und damit geprägt hat – während wir selbst in die Hinterhand geraten und über kurz oder lang zum Hinterwäldler herunterkommen.
Mittlerweile sind wir über das Stadium partieller Wortübernahmen längst hinaus, inzwischen müssen es ganze Sätze sein – und auf diese Weise knacken wir so langsam auch unsre grammatikalischen Strukturen und, weitgehender noch, den Tiefencode unsrer Sprache, also die Art, wie wir denken und fühlen – wir manipulieren uns so geschickt um, daß wir es, da wette ich, im seltensten Fall noch bemerken. Die Summe solch salamischeibchenhaft vorangetriebner Entselbstung ergibt am Ende aber wieder eine ganze Wurst, und um die geht es mir – als einem, der auf die deutsche Sprache nicht nur angewiesen ist, sondern sie auch liebt. Denn wenn eben diese meine, Ihre, unsre Sprache die Assimilationskraft verliert, erstarrt sie – so muß es gewesen sein, als sich das Lateinische langsam auflöste, und etwas sehr Schönes dabei entstand, das Italienische. Bei uns wird es Anglogerman-Newhighpidgin sein, und insofern verheißt das ja den Anfang einer anglogerman-newhighpidgin literature, immerhin. Das damit zwangsläufig einhergehende Ende der deutschsprachigen Literatur will mir allerdings wenig wünschbar erscheinen; und mit Nationalismus hat das wirklich nichts zu tun, im Gegenteil: Überlassen wir dies heikle Thema doch nicht denen, die es nationalistisch mißbrauchen könnten, besetzen wir es, ehe es andre tun!
Aber das Problem ist selbstverständlich nie ein rein sprachliches gewesen; seit dem Ende des 2. Weltkriegs hat eine Re-Kolonialisierung Europas (und eigentlich der Gesamtwelt außer vielleicht Bhutans oder Burundis) durch die Amerikaner eingesetzt, die zunächst sicherlich nichts als gut und notwendig war. Einige Jahrzehnte Kulturimperialismus haben allerdings dafür gesorgt, das Gesicht Europas völlig zu verändern: Dieses unser eignes Gesicht kennen wir inzwischen weit schlechter als zuvor, den Mittleren Westen dagegen nicht bloß bis in den hintersten Winkel seiner Wohnzimmer, sondern bis auf den Grund seiner Popcorn-Tüten, die man dort leert (
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