Dick & durstig oder Wisch & weg?

Dick & durstig oder Wisch & weg?Wie aus der SPD die „SPD“ wurde und warum die nächste Wahl immer die schlimmste ist

erschienen/erscheint bei:

die tageszeitung, 18/8/98; enth. in: Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft

Entstehungszeitraum: 04/08/1998 - 08/08/1998

Leseprobe

„Ich bin bereit“, verkündete – einen Tag nach der gewonnenen Niedersachsenwahl – eine ganzseitige Anzeige in der überregionalen Presse; und der, der dazu seinen Schröderschädel in erschreckend übermenschlichen Dimensionen zur Schau stellte, ließ seine Betrachter keine Sekunde im Zweifel, wozu er bereit sei: zu allem.
Ein Bild verrät bekanntlich mehr als tausend Worte, insbesondre solche, die über Politikerlippen gleiten; und dieses Schwarzweißphoto mit all seiner I’ve-got-the-look-Pose und der bewährten Schlagschattenästhetik, die jede harmlose Hautfalte als Signum männlicher Entschlossenheit inszeniert, dieses in bester riefenstahlscher Ästhetik abgelichtete Potenzgeprotze verriet vor allen Dingen eins: Für Gerhard Schröder geht es am 27. September nicht so sehr um einen Machtwechsel in Bonn, sondern um – die Machtergreifung. ##Einen## Moment lang vergaß er sich, der ansonsten ja mit dem beharrlichen Grinsen eines Pferdeflüsterers zu punkten weiß und überhaupt drauf & dran ist, als Sexsymbol für Rentnerinnen das Rennen zu machen – vergaß sich einen einzigen Moment lang und zeigte sein wahres Gesicht: das des zukünftigen Führers, der als erstes „den Dicken“ mit Links wegwischen und sich dann auch den Rest seiner Amtszeit nicht damit begnügen würde, rohe Kartoffeln oder Meerschweinchen mit der bloßen Faust zu zerquetschen.
Selbstverständlich verschwand dies verräterische Bild umgehend aus der Werbekampagne der SPD, selbstverständlich heißt deren Slogan seitdem wieder „##Wir## sind bereit“ und der ästhetische Vorschein einer neuen Brutalität, der eine Anzeige lang das besserwisserische Gutmenschentum der restlichen Genossen als bloßes Hofnarrengedöns am künftigen Herrscherhof enttarnte, ist dem gewohnten Bild gewichen: Zwar werden die Paladine der Schröderpartei nicht müde zu betonen, auch ##sie## seien bereit; aber weil sie ihre Kampagne diesmal nach amerikanischer Wahlkampfstrategie führen: als Nullbotschaft, die durch keinerlei konkrete Ideen, gar Konzepte, gar Versprechungen von ihrer Generalentschlossenheit ablenken soll, und weil sie sich in einer Mischung aus Zeitgeist-Opportunismus und Größenwahn von ihren Stammwählern verabschiedet und als „SPD light“ an eine ominöse Neue Mitte angewanzt haben: deshalb ist auch bei ihnen kein Zweifel möglich, wozu sie bereit sind – zu nichts.
Zu nichts anderem nämlich als zu dem, was die CDU ohnehin seit Jahr & Tag betreibt: rhetorisch kaschierte Abwicklung des tagespolitisch Nicht-länger-Aufschiebbaren, vulgo Weiterwursteln. Woraus der Schluß zu ziehen ist, auf der SPD stehe zwar noch immer SPD drauf, sei aber längst nicht mehr SPD drin, im Gegenteil (…)