22 Fragen an Matthias Politycki

22 Fragen an Matthias Politycki

erschienen/erscheint bei:

Die Welt, 8/9/08

Entstehungszeitraum: 24/08/2008

Interview (Kompletter Text)

Sie waren mehrere Wochen nonstop mit „In 180 Tagen um die Welt“ auf Lesereise in Deutschland, und im Herbst wird es dann auch schon wieder weitergehen …

Kein Grund zum Jammern! Wenn einen das eigne Buch so herumtreibt, lernt man’s noch mal von einer ganz anderen Seite kennen.

Von welcher denn?

Man merkt zum Beispiel, daß an Stellen gelacht wird, die man beim Schreiben gar nicht so witzig fand. Und an anderen Stellen überraschenderweise so sehr geschwiegen wird, daß Sie die berühmte Stecknadel fallen hören könnten – der Text „packt“ einen Hörer anscheinend anders als den Leser und schon gar den Schreiber. Leider lernt man im Lauf der Reise dann auch all die Stellen kennen, die man ganz anders vortragen muß, als sie im Buch gedruckt stehen: Man schreibt das Buch während der Lesereise gewissermaßen noch mal um.

Auf diese Weise wird ein Buch ja niemals fertig, je öfter man daraus liest, desto mehr muß man darin herumstreichen!

Genauso ist es, ob es fremde oder eigne Bücher sind, spielt dabei gar keine Rolle – je öfter man ein Buch liest, desto transparenter wird der Stoff und all das Handwerkliche kommt in den Blick, vom Satzbau bis zur Verzahnung von Leitmotiven oder Gliederungspunkten.

Hat’s denn wenigstens manchmal einfach nur Spaß gemacht, das (Vor-)Lesen?

Es macht immer Spaß, und es ist jedesmal eine Premiere, auch beim 50. Mal, andernfalls könnte man seinen Text ja gar nicht adäquat vortragen. Wobei ich ohnehin „mündlich“ schreibe, also von der Melodie her, und dabei so lange mit Hebungen und Senkungen herumjongliere, bis die Satzperiode den für mich „richtigen“ Rhythmus gefunden hat. Beim tatsächlichen Vortrag ist das dann eigentlich ganz leicht umzusetzen.

Das klingt so, als würden sie so aus ihrem Buch lesen wie wenn Sie daraus erzählten – ist es wirklich so einfach oder steckt dahinter nicht doch eine ganze Menge Arbeit?

Natürlich steckt dahinter eine Menge Arbeit, aber eben beim Schreiben. Und die soll der Leser bzw. Zuhörer am besten gar nicht mitbekommen, eben darin besteht doch die Ehre des Schriftstellers.

Wäre das Ihr Geheimrezept: Wer sich beim Schreiben nur lang genug Mühe gegegeben hat, der kann auch eine gute Lesung machen? Eine Lesung von Ihnen, ich habe es selber erlebt, ist ja fast schon eine Performance, daran ist doch nichts dem Zufall überlassen!

Ist es auch nicht. Vor jeder Lesereise zeichne ich das Buch Satz für Satz aus, notiere mit Bleistift Atempausen, Zäsuren usw. zwischen den Zeilen – die tatsächliche Nettolesung ist ja bloß die Erinnerung daran, was beim Schreiben längst passiert ist.

Das hieße ja, die vielgerühmte Authentizität einer Autorenlesung ist in Wirklichkeit nur Simulation, ein abgekartetes Spiel mit den Zuhörern?

Wieso „abgekartet“? Die Zuhörer bezahlen Eintritt und haben Anspruch, etwas dafür zu bekommen – auch ein Schriftsteller muß sein Publikum unterhalten. Wenn er das nur halben Herzens tut, weil er vielleicht meint, das gehöre in Wirklichkeit nicht zu seinem Kerngeschäft, so merkt man das im Publikum sofort. Denn nur wer rundum vorbereitet ist, kann auf die Reaktionen der Zuhörer dann auch spontan eingehen; ein stures lineares Konzept reicht dafür nicht: Wenn die Hörer nach einer gewissen Anlaufphase selber entscheiden, was als nächstes gelesen werden soll, wird der Abend gewissermaßen interaktiv – auch dabei muß man aber die Zügel in der Hand behalten, auf daß die Sache nicht irgendwann ins Beliebige entgleitet.

Sie meinen, das Publikum ist unberechenbar in seiner –

Nein, unberechenbar ist allerhöchstens der eine oder andre Veranstalter, da erlebt man immer wieder mal eine Überraschung, trotz aller Vorab-Telephonate, Verträge und Checklisten.

Nun?

Nun!

Aha. Dann haben Sie aber vielleicht einen Rat, was Veranstalter auf keinen Fall tun sollten?

Dem Autor versichern, bei Karasek neulich seien sooo viele gekommen, daß sie gar nicht in den Raum gepaßt hätten. Ihn gleich nach der Lesung in bar entlohnen wollen, als sei er ein Clown. Ihn mit den Worten „Sie sind doch der Mann der Worte!“ zu einem möglichst kreativen Eintrag im Gästebuch ermuntern. Ihm beim Verlassen des Veranstaltungsortes „einen schönen Abend noch“ wünschen.

Und was hat er richtig gemacht, wenn’s andersrum läuft?

Er hat begriffen, daß eine Lesung niemals ein Event sein kann, dafür aber etwas anderes, das jeden Event in den Schatten stellt. Dazu muß er sich freilich auf die Macht der Literatur verlassen, also nicht etwa versuchen, sie von vornherein durch Experimente („Lesen an ungewöhnlichen Orten“ oder wie derlei heißt) auf- bzw. eigentlich abzuwerten. Der richtige Ort, das richtige Licht, die richtige Atmosphäre reichen, das weiß man ja bereits als Leser in den eigenen vier Wänden. Und wenn dann auch noch der Rest stimmt – all die vielen Details, die dem dilettierenden Improvisieren vorbeugen –, dann läuft man als Vortragender zu einer ganz anderen Form auf und das Publikum übrigens ebenfalls, das ist dann der berühmte Funke, der –

Ist er auf Ihrer Lesereise mit „In 180 Tagen um die Welt“ denn immer übergesprungen?

Fast immer. Erst wenn alle, die gekommen sind – und dazu gehört natürlich auch der Veranstalter – zufrieden wieder gegangen sind, weiß man, ob sich die Anstrengung gelohnt hat. Das spüren Sie dann übrigens auch physisch.

Und erst recht nach ein paar Wochen?

Da sind Sie gleichzeitig so erschöpft und euphorisch, daß Sie kaum die Kraft finden zu schlafen. Eigentlich ein irres Gefühl, und man verdankt es seinen Zuhörern und Lesern.