Acht Fragen an Matthias Politycki

Acht Fragen an Matthias PolityckiFragen: Anett Gläsel-Maslov

erschienen/erscheint bei:

http://www.facebook.com, 26/5/11

Entstehungszeitraum: 15/05/2011

Interview (Kompletter Text)

In Ihrem neuen Buch schildern Sie eine Tour durch die Kneipen Londons. Warum haben Sie dafür die Versform gewählt?

Die geschilderte Durststrecke ist ja nicht zuletzt eine Reaktion auf all die wunderbare Verkostungslyrik, mit der in den Pubs für einheimische Ales geworben wird. Eine Auseinandersetzung damit muß ähnlich präzis ausfallen, so beiläufig umgangssprachlich sie sich auch gibt; eine strenge Form hilft dabei enorm.

Ist »London für Helden – The Ale Trail« ein Reiseführer? Oder doch eher eine Warnung?

Wenn man Sinn für Humor hat, ist es auf jeden Fall eine Art Reiseführer. Schließlich ist auch eine Karte mit den Pubs und ihren Adressen drin, so daß man den Ale Trail tatsächlich nachgehen kann. Man entdeckt dabei einen Aspekt von London, der in normalen Reiseführern nicht vorkommt – das ganz Normale, das Nichtsehenswürdige, das umso aussagekräftiger für eine Stadt sein kann. Ein paar der Pubs sind aber auch touristisch relevant: The Prospect of Whitby zum Beispiel oder Captain Kidd; und wer sich für Jack the Ripper interessiert, geht natürlich in The Ten Bells.

Auf Ihrem Zug durch die East End-Pubs treffen Sie hauptsächlich auf Klischees – lärmende Einheimische, miserables Bier, entsetzliche Eßkultur und das notorische German Bashing, das „Hau-die-Deutschen“.

Klischees sind nichts als kürzestmögliche – und damit stets verfälschende – Zusammenfassungen von Erfahrung; ein Funken Wahrheit steckt leider trotzdem meist darin. Wir sind mit unseren „Helden“ ja mitten im East End, dort ist London längst nicht so weltoffen metropolitan wie im West End, gerade weil hier verschiedene Ethnien auf engstem Raum nebeneinanderwohnen. Die verbliebenen weißen Engländer gehören zu den ärmsten, in ihrer Eckkneipe wird die Weltstadt zur Provinz. Man muß freilich eine Weile in London leben, um damit konfrontiert zu werden – und sei’s in Form einer Bierwerbung, die seit Jahren über German-bashing funktioniert.

Dann mischt sich der Geschmack von Ale plötzlich mit der deutsch-britischen Geschichte – und das Bier schmeckt „nach abgeschossenen Stukkas“.

Schon allein deshalb, weil das Bier „Spitfire“ heißt, „The bottle of Britain“, das kann man als Deutscher ja gar nicht ohne Nebengedanken trinken. Wenn man dann noch auf den Werbeslogan „No Nazi aftertaste“ stößt … geht’s bei einer harmlosen Kneipentour halt vorübergehend auch mal ans Eingemachte. Was dann über das Bier im Glas gesagt wird, hat wenig mit dem tatsächlichen Geschmackserlebnis zu tun; und es wird auch nicht durch 1000 andere Erlebnisse neutralisiert, in denen ein neuer, vorurteilsfreier Umgang mit Deutschen spürbar ist.

Und wie schmecken „alte Feudel“, an die Sie das Royal London Ale im Abgang erinnert?

Mich und meine Mittrinker, sie haben viel von ihrem Witz in dieses Buch hineingegeben. Im übrigen bin ich ja kein Bierpapst und „London für Helden“ kein Sachbuch, sondern ein Stück Literatur. Vielleicht war es einfach mal an der Zeit, daß man sich auch als Deutscher über die Engländer lustig macht, schließlich – und das sei ausdrücklich betont – liebe ich sie ja, abgesehen von ihrer Braukunst.

Der Passionsweg durch die verschiedenen Pubs verheißt, daß man der britischen Seele und Kultur näher kommt. Ist das überhaupt zu schaffen?

Sich in ein Land einzufühlen, ist eine lange Aufgabe, noch dazu in eines wie England, das so täuschend nahe liegt, sich selbst aber nicht mal als Teil von Europa empfindet. Zu Hause ist man erst dann, wenn man gesenkten Hauptes durch die Straßen geht. Oder in die Kneipe und – ohne weiter darüber nachzudenken – ein Bier bestellt. Weil man aufgehört hat, hinter allem und jedem nach einer tieferen, womöglich landestypischen Bedeutung zu suchen.

Nach dem tieferen Sinn sucht man nur in der Fremde?

Im eigenen Alltag hat man ihn ja stets. Als Fremder möchte man seine Erlebnisse auch richtig deuten können, am liebsten mit einem tieferen Sinn versehen. Selbst im Londoner Pub, als ob es einen gemeinsamen Nenner gäbe für die Tresendeckchen, die Darts-Rituale und den Geschmack. Vielleicht hängt das gar nicht zusammen. Oder doch? Man kann es nur herausbekommen, wenn man sich zu den Einheimischen an den Tresen stellt.

Ist es Ihnen denn mittlerweile gelungen, sich näher heranzutrinken an die fremde Kultur?

Zumindest kann mich nicht mal mehr ein Triple Chocolate Stout aus der Ruhe bringen. Vor allem aber freue ich mich über die Pubs an sich, besonders die aus viktorianischen Zeit mit ihren geschliffenen Spiegeln und alten Polstermöbeln. Wer in solch wunderbaren Räumlichkeiten trinken darf, dem ist jedes Bier recht, selbst das englische: Die Pubs sind willig, doch das Bier ist schwach.