Afrikareise über Gräben

Afrikareise über GräbenFragen: Elisabeth Zeitler-Boos

erschienen/erscheint bei:

8-9/1/2020, gek. in: büchermenschen 2/2020; komplett auf büchermenschen.de

Entstehungszeitraum: 08/01/2020 - 09/01/2020

Interview

Seit gut 40 Jahren sind Sie regelmäßig rund um den Globus auf Achse. Was treibt Sie an und um? Worauf kommt es Ihnen beim Reisen am meisten an?

Reisen ist für mich praktische Philosophie, sie ergänzt und korrigiert das Nachdenken am heimischen Schreibtisch. Manchmal stellt eine Reise sogar das ganze Weltbild, in dem man’s sich gemütlich gemacht hat, auf den Kopf.

Wie wirkte sich Ihre praktische Philosophie des Reisens bei der Entstehung und beim Schreiben Ihres neuen Romans aus?

Über Afrika gibt es reichlich Vorurteile, neuerdings vor allem gut gemeinte. Von den Einheimischen erfährt man freilich oft etwas, das nicht in unser postkolonial korrektes Weltbild paßt; manches davon kann man allenfalls noch als Fiktion erzählen – und muß es auch.

„Das kann uns keiner nehmen“ führt nach Afrika, wo Sie schon mehrfach unterwegs waren. Wo und wie hat dieses schwindelerregende Schreibprojekt seinen Ursprung?

Einen meiner beiden Freunde, mit denen ich gerade auf dem Kilimandscharo war, mußten wir in Moshi ins Krankenhaus bringen. Ich hatte unheimlich Angst um ihn; um sie ihm zu erklären, fing ich an zu erzählen …

Für intensive und manchmal halsbrecherische Recherchen sind Sie bekannt. Im Fall von „Das kann uns keiner nehmen“ spielen wohl auch unfreiwillige, ziemlich heftige Erfahrungen eine große Rolle. Welche?

Gleich auf meiner ersten Afrikareise wäre ich fast gestorben – in einem Krankenhaus in Burundi. Erst mein Freund brachte mich 25 Jahre später zum Erzählen.

Seit den dramatischen Erlebnissen Ihrer ersten Afrikareise 1993 hat es lange gedauert, bis Sie sich zur Arbeit an Ihrem Roman entschließen konnten. Was mussten Sie erst noch mit sich selbst ausmachen? Oder was musste erst passieren?

Eine Nahtoderfahrung steckt man nicht so schnell weg. Wahrscheinlich mußte ich erst mal die andere, die beschwingte Seite von Afrika kennenlernen, um eine ernste Geschichte so heiter wie möglich schreiben zu können.

Wie haben Sie das Schreiben empfunden? Ein Ringen mit sich selbst? Oder eher eine Befreiung?

Sobald ich mich einmal dazu durchgerungen hatte, ging es unglaublich leicht und schnell. Vom ersten Satz an hatte ich das ganze Buch wie einen Film vor Augen, Szene für Szene, selbst noch den Abspann.

Warum Tansania? Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Reiseroute und die Schauplätze ausgewählt? Worauf geografisch, psychologisch und literarisch Wert gelegt?

Weil ich eine recht ähnliche Reise gerade in Tansania unternahm – die Idee zum Roman kam ja auf dieser Reise. Was Schauplätze und Nebenfiguren betrifft, mußte ich nur noch mitschreiben.

Ihr Roman beginnt am Kilimandscharo beziehungsweise am Kibo. Was macht für Sie persönlich dessen Faszination aus?

Ich sah ihn beim Start zum Kilimanjaro-Marathon als dunklen Schatten vor dem Nachthimmel, unglaublich schwarz, unglaublich riesig. Noch bevor der Startschuß fiel, wußte ich: Um diesen Berg kommst du nicht herum.

Als Schicksalsort hat der Kilimandscharo literarische Tradition, die wohl für die meisten mit Hemingway und „Schnee am Kilimandscharo“ verbunden ist. Für Sie auch? Welche Bedeutung hat er für Sie?

Ich verehre Hemingway! Seltsamerweise hat mich „Schnee am Kilimandscharo“ aber weniger beeindruckt, auch beim Wiederlesen nicht. Hemingway hat vom Berg selbst kaum etwas zu erzählen, er war ja auch nie oben.

Ihre zwei Helden treffen zum ersten Mal am Kilimandscharo aufeinander. Warum ausgerechnet an diesem Ort und in dieser Situation? Was hat sich da für die Charakterisierung als idealer Nährboden erwiesen?

Sie treffen sich ja nicht auf der Spitze, sondern im Krater. Dort will wirklich kaum einer übernachten. Und dann muß man mindestens bis zum nächsten Morgen durchhalten, selbst wenn man dort auf jemanden treffen sollte, der einen zur Weißglut treibt.

Auf den ersten Blick prallen da Typen aufeinander, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Wie sehen Sie Hans und Tscharli? Was war Ihnen bei der Erschaffung der beiden wichtig?

Die beiden repräsentieren ziemlich gut die beiden Extreme unsrer gespaltenen Gesellschaft – in Deutschland hätten sie kein einziges Wort miteinander gewechselt. Die Situation zwingt sie, ins Gespräch zu kommen – und plötzlich ist alles ganz anders, als es auf den ersten Blick schien.

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