Die Erde ist tatsächlich rund
Die Erde ist tatsächlich rund12 Fragen von Volker Albers
Live/Hamburger Abendblatt, 22.5.08
Matthias Politycki war als Schiffsschreiber auf der MS Europa unterwegs. Im Roman „In 180 Tagen um die Welt“ hat er seine Eindrücke verarbeitet. Sueddeutsche.de sprach mit dem Autor über seine Erlebnisse auf dem Luxuskreuzer.
Sueddeutsche.de: 180 Tage um die Welt – das bedeutet vermutlich eine Menge Vorbereitung.
Matthias Politycki: Viel zu wenig! Ich habe noch in der Nacht vor der Abfahrt an einem Essayband, „Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft“, herumkorrigiert, der Abgabetermin fiel auf den Tag meiner Abreise.
Sueddeutsche.de: Der Band erschien dann im Frühjahr 2007, da waren Sie längst unterwegs?
Politycki: Und hatte schon 5 Monate hinter mir. In Dubai bekam ich ein Exemplar geliefert, wir waren gerade auf dem Absprung in den Iran. Merkwürdig, wenn man an einem solch exotischen Punkt einen Wink aus seinem „ganz normalen“ Alltag bekommt – man kann den Moment gar nicht angemessen erleben, geschweige genießen.
Sueddeutsche.de: Es gab doch auch Internetzugang an Bord – Sie haben von dort aus einen täglichen Blog in die Welt geliefert. Wie haben die Mitreisenden auf dem Schiff darauf reagiert?
Politycki: Die Passagiere sind meist in einem Alter, wo man sich nicht mehr so sehr ums Virtuelle kümmert; und die Mannschaften laden in der Regel nur schnell ihre Mails herunter, Surfen kommt an Bord ja ziemlich teuer. Die Offiziere hingegen haben meine Einträge sehr genau verfolgt, und es gab darunter durchaus welche, denen das alles nicht paßte, schon allein die Existenz eines Schriftstellers an Bord. Sie haben mich wahrscheinlich mit einem Journalisten verwechselt. Andrerseits: Von Deutschland aus hat man sehr genau verfolgt, was da täglich neu hochgeladen wurde, sozusagen ein bebilderter Fortsetzungsroman, es waren immer an die 1000 User auf meiner Seite.
Sueddeutsche.de: Auf dem Schiff kann man keinem ausweichen. Lastet da nicht ein enormer Druck auf dem Autor, der das Geschehen einfangen will?
Politycki: Klar gab es Versuche, mich zu beeinflussen – von Mannschaften wie auch Passagieren, in die eine wie auch die andre Richtung. Bedingung für mich als „Schiffsschreiber“ war allerdings von vornherein gewesen, daß es keinerlei Beeinflussung oder gar Zensur bei meiner Arbeit gab. Im Gegenzug habe ich mich gegenüber der Reederei verpflichtet, keine real mitreisenden Passagiere zu porträtieren. Aber das verstand sich für mich eigentlich von selbst – die phantastische Reise eines Schelmenromans ist ja ohnehin viel spannender, wenn man sie nach Belieben mit einem phantastischen Personal bestücken kann.
Sueddeutsche.de: So manchem Gast hätte es vielleicht gefallen, wenn Sie noch authentischer geschrieben hätten?
Politycki: Einige haben mich mit ihrem Mitteilungsdrang regelrecht verfolgt – und sogar im Pool oder auf der Laufstrecke gestellt. Und warum auch nicht, eine Gesellschaftssatire lebt ja nicht zuletzt von Gerüchten und Anekdoten, die man besser gar nicht erfinden könnte. Die reine Wahrheit hätte mir ohnehin niemand geglaubt.
Sueddeutsche.de: Verraten Sie uns etwas.
Politycki: Verraten? Die Ehre des Schriftstellers liegt doch gerade darin, die Wahrheit mittels Phantasie erst so richtig auf den Punkt zu bringen! Aber was Sie mir bestimmt nicht abnehmen würden ist die Palette dessen, über was man sich in all dem Luxus aufregen und beschweren kann, wenn der Tag nur lang genug ist: Darüber, daß der Meerrettich auf den Buffets ausgeht, daß der Seegang zu niedrig ist oder der Kaffee zu heiß – ja, zu heiß. Und dann die Menge der kursierenden Gerüchte, über Passagiere, Offiziere oder auch darüber, warum wir Kuba plötzlich nicht anlaufen durften, da wurde das Drauflosspekulieren vorübergehend zur Hauptbeschäftigung. Im Grunde wie an Land auch, nur findet an Bord eben alles auf engstem Raum statt und dadurch viel schneller, extremer: ein komprimierter Schnellkursus in Menschlich-Allzumenschlichem.
Sueddeutsche.de: Hatten Sie nie Fluchtgedanken?
Politycki: Zugegeben, ein halbes Jahr ist ziemlich lang; aber im nachhinein bin ich froh, daß ich nicht unterwegs abgebrochen habe. Man lernt vieles auf einer solch langen Reise neu kennen, nicht zuletzt sich selbst und wie man sogar auf einem Kreuzfahrtschiff Nischen und Ruhepausen findet, indem man z.B. antizyklisch lebt. Dann kann man plötzlich schwimmen gehen, während die Nichtschwimmerfraktion noch frühstückt oder schon an Land gegangen ist.
Sueddeutsche.de: Sie haben die Landgänge ausgelassen?
Politycki: Oh nein, ich habe vielleicht 110 der 120 Landgänge mitgemacht, aber man muß ja nicht immer als erster festen Boden betreten. Am meisten hat mich übrigens die Südsee beeindruckt: klischeegrünes Meer, dahinter eine verdammt harte Vulkanwirklichkeit – Traum und Albtraum zugleich.
Sueddeutsche.de: Und sonst?
Politycki: Zum Glück kannte ich schon etliche Orte, die wir anliefen, an solchen Tagen hat man etwas Luft. Und in Australien zum Beispiel, an dessen Außenhaut wir sehr ausführlich entlangschubberten, habe ich das eine oder andre einfach ausgelassen; bei einer Weltreise geht’s ja nicht jeden Tag ums Ganze, und zu diesem Zeitpunkt ist das Ablegen längst wichtiger geworden als das Ankommen.
Sueddeutsche.de: Ein halbes Jahr nur Wasser um sich herum, ist das nicht irgendwann nervig?
Politycki: Das Meer war das Faszinierendste der Reise! Es sieht jeden Tag anders aus, klingt anders, vor allem anders als vom Ufer aus – ein unvergeßliches Rauschen.
Sueddeutsche.de: Wie ist denn der typische Luxusschifffahrtsgast?
Politycki: Den gibt’s nicht. Schon beim bloßen Hinsehen entdecken Sie auf der Atlantikpassage ein ganz andres Klientel als beispielsweise in der Karibik. Natürlich sind die meisten nicht mehr ganz jung und nicht ganz arm; aber hinter dem, was man so landläufig erwartet, wird es ja bekanntlich erst spannend. Manche haben lange auf diesen Urlaub gespart; andere buchen während einer Weltreise schon die nächste. Kurzreisende sind meist sehr damit beschäftigt, alles „mitzunehmen“, was das Programm hergibt; Langzeitreisende hingegen verzichten zusehends auf Kaviar und Hummer und genießen lieber den Luxus hinter dem Luxus: die simple Pizza, die gleichzeitig ein paar Decks höher auf der Speisekarte steht – oder einfach auch nur ihren eignen Balkon.
Sueddeutsche.de: Und wie erging es Ihnen? Balkongenuss oder doch lieber Buffet?
Politycki: Am Anfang habe ich mich auf jedes Acht-Gänge-Menü gefreut, bald jedoch ans Rustikalere gehalten. Und bei Landgängen auch mal an einen BigMac.
Sueddeutsche.de: Sie waren nicht der einzige Künstler an Bord, oder?
Politycki: Auf manchen Passagen fahren bis zu 50 Künstler mit, ganze Orchester; ich war allerdings als Passagier gebucht, nicht als Künstler.
Sueddeutsche.de: Verraten Sie uns, wer auftrat?
Politycki: Robert Blanco war da, Peter Kraus, Udo Lindenberg, Senta Berger, Reinhold Messner usw. usf.
Sueddeutsche.de: Die haben Sie sich alle angehört?
Politycki: Roberto Blanco oder Peter Kraus sind nicht so mein Geschmack. Aber am Anfang macht man natürlich alles mit, allein um’s erst mal kennenzulernen, auch jede Gala – ich war in diesen 6 Monaten bestimmt 35 Mal im Smoking. In den 50 Jahren davor hingegen kein einziges Mal. Eigentlich bin ich ja ein alter Bluesrocker, seit ein paar Jahren meinetwegen auch Hip- und Triphopper. Da hat es mir mehr Spaß gemacht, nach Ende des offiziellen Programms in der „Sansibar“ mit einer Handvoll Gleichgesinnter ein paar verrücktere Titel aufzulegen.
Sueddeutsche.de: Was war der wichtigste Moment auf der Reise?
Politycki: Wie bei jeder Reise – der Tag der Heimkehr. Wer sich auf diesen Tag freuen kann – und das habe ich im Grunde ein halbes Jahr lang getan – der weiß, daß er dort, wo er lebt, auch wirklich zu Hause ist.