Die Jungs sind back in town

Die Jungs sind back in townGespräch mit Tobias Schwartz

erschienen/erscheint bei:

Zitty. Das Hauptstadtmagazin. Nr. 3/2006 (2.-15.2.06)

Entstehungszeitraum: 13/01/2006

Interview (Kompletter Text)

Das neue Buch von Matthias Politycki spielt in Kuba. Mehrere Monate hat der Autor von „Das Schweigen am andern Ende des Rüssels“ und „Weiberroman“ in Santiago gelebt und das Leben in der Metropole der schwarzen Musik und der afrokubanischen Kulte studiert: Familienleben und Nachbarschaftsfehden, Hahnenkämpfe, Hausschlachtungen und nächtliche Geisterbeschwörung. Heraus kam ein Roman von 730 Seiten, der mit den gängigen Kuba-Klischees aufräumt – und seinen Autor in einen neuen Menschen verwandelt hat. (Politycki liest heute um 20 Uhr im Literaturhaus aus „Herr der Hörner“).

SZ: Die kubanischen Schweine scheinen es Ihnen besonders angetan zu haben …

Politycki: Was heißt da „angetan“ – sie haben mich „angefasst“! In Santiago grinsen einem an jeder Ecke abgehackte Schweinsköpfe entgegen – den Anblick sind wir aus unserem Alltag ja nicht mehr gewöhnt. Für den Roman war es naheliegend, die Verunsicherung des Fremden erst einmal im Alltagsleben darzustellen, bevor es ans Eingemachte geht. Im Verlauf der Geschichte wird man dann auch die Schweine mit ganz anderen Augen sehen.

SZ: Eros, Blut und Tod sind – trotz aller Ironie, mit der Sie Ihren Antihelden durch die Gassen Santiagos begleiten – die zentralen Motive des Romans. Broschkus stolpert von einer verwirrenden und unheimlichen Situation zur nächsten. Waren denn Ihre Erfahrungen tatsächlich so aufwühlend?

Politycki: Sie waren existentiell! Wenn man sich auf die Tropen einlässt, dann definiert sich auch das eigene Leben um. Die Recherche vor Ort, auch noch das Schreiben in Hamburg waren wie ein Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte, und haben Fragen aufgeworfen, die ich ein Leben lang nicht werde ausschöpfen können. Ich habe noch nie so nahe an der Kante geschrieben, schon rein von der Fülle des Materials her.

SZ: Hatten Sie denn vorher die Absicht, über Religion zu schreiben?

Politycki: Überhaupt nicht. Ich wußte nicht mehr von Santería und Palo Monte (und all den andern afrokubanischen Glaubensrichtungen), als in jedem Reiseführer steht. Mit war nur klar, dass die Primärvision – weißer Europäer sucht Frau seiner Träume – nur der Ausgangspunkt für ein übergeordnetes, irgendwie mysteriöses Thema sein musste. Aber als ich dann in Santiago lebte, hatten überraschend viele meiner Nachbarn mit ebenjenen Kulten zu tun. Ich studierte das zunächst aus der Warte des skeptischen Intellektuellen, dachte dann aber bald: Moment mal, die sind ebenso intellektuell – und trotzdem gläubig. – Diese Riten sind kein bloßer Hokuspokus, sie führen zu echten Erfahrungen. Da kommen Sie mit unserem saturierten Nihilismus nicht weiter.

SZ: Sie tragen die Ketten der Schutzgöttin Yemaya. Wurden Sie initiiert?

Politycki: Nein, so weit ging es nicht, ich bin weder Santero, noch gar Palero geworden. Die Ketten selbst sind zwar geweiht, ich halte sie aber vor allem aus Freundschaft und Dankbarkeit den Menschen gegenüber in Ehren, von denen ich sie erhielt. Ich lebte auf engstem Raum mit ihnen, sie erzählten mir ihre intimsten religiösen Dinge – da wären Spott und Ironie absolut fehl am Platz.

SZ: Der Tod gehört zum Alltag, wie Sie ihn schildern: das Schlachten der Tiere, die Bembés, nächtliche Trommelfeiern, bei denen der Geist eines Toten in einen Teilnehmer hineinfährt. Wie erlebten Sie das?

Politycki: Ich bin als überzeugter Aufklärer hingefahren. Aber dieses Erschauern vor dem Leben wie dem Leben-Nehmen – auch in Alltagssituationen, denken Sie nur an den Kampf `Mann gegen Schwein´ – hat mich tief berührt und ins Grübeln gebracht. Das hat überhaupt nichts mit heimlich schlummernden rechtsradikalen Machtgelüsten zu tun; wer das so interpretiert, urteilt aus dem Sessel dessen heraus, der noch nie in derartigen Ländern war. Wir Mitteleuropäer leben in einer weitgehend künstlichen Welt, in angenehm geordneten Strukturen. Aber auf Dauer fehlen uns anscheinend existentielle Erfahrungen. Nicht umsonst fliehen so viele Feuilletonisten in eine Generalironie, suchen so viele diesen Mangel in exotischen Ländern oder mit Extremsportarten zu beheben.

SZ: Woher beziehen die Menschen, denen Sie auf Kuba begegnet sind, ihre Stärke?

Politycki: Das fängt beim ungebrochenen Männer- und Frauenbild an, es gibt ja durchaus genausoviele Machas wie Machos. Schon deren Mimik und Gestik – da muss unsereins erst wieder den aufrechten Gang lernen! Und dann ist es wohl auch der Glaube. Die Leute haben viele christliche wie unchristliche Heilige im Angebot, dazu jede Menge Toter und Götter, die sich allesamt sehr menschlich verhalten und im Alltag präsent sind, ähnlich wie in der griechischen Antike. Irgendeiner hilft einem da immer.

SZ: Ein bisschen werden die Santos jetzt auch auf Sie aufpassen. Haben sie sich seit Ihrer Rückkehr schon gemeldet?

Politycki: Sie werden es kaum glauben: Bei der ersten Lesung in Hamburg habe ich absichtlich nicht die heiteren oder erotischen Passagen gelesen, sondern eher die brutalen. Und da fällt doch ausgerechnet an der Stelle, als es um die Ritzung der Zungenspitze bei einer Initiation geht, der Buchhändler in Ohnmacht und der Arzt muß kommen! Es geht ihm inzwischen besser. Aber ob das Zufall war?