„Die Wahrheit hätte mir niemand geglaubt“

„Die Wahrheit hätte mir niemand geglaubt“Gespräch mit Christina-Maria Berr

erschienen/erscheint bei:

SZ-Online, http://www.sueddeutsche.de, 24.4.08

Entstehungszeitraum: 08/04/2008

Interview (Kompletter Text)

Ein halbes Jahr lang reiste Matthias Politycki auf einem Luxusschiff durch die Welt. Seine Erfahrungen hat er zu einer großartigen Satire verarbeitet.

JOURNAL Frankfurt: Der Erzähler ihres neuen Romans heißt Johann Gottlieb Fichtl und ist ein Finanzbeamter aus Bayern. Was hat es mit ihm auf sich und vor allem: Wie kommt er auf ein Luxusschiff wie die MS Europa?

Matthias Politycki: Das ist sozusagen „einer von uns“, der mit seiner Lotto-Tippgemeinschaft plötzlich das große Los gezogen hat. Aber da der Gewinn nicht für eine Kreuzfahrt für alle reicht, tritt Fichtl die Reise stellvertretend an und führt für die Daheimgebliebenen ein Logbuch in Text und Bild.

Für einen Finanzbeamten hat dieser Herr Fichtl allerdings eine erstaunlich witzige und geschmeidige Sprache.

Nur auf dem Papier! Im direkten Gespräch kann er ja kaum einen einzigen Satz fehlerfrei geradeaus sagen – möglicherweise die psychologische Erklärung für seine Eloquenz im Schriftlichen. Jedenfalls ist er beileibe kein Dummi. Man lächelt ja gern auf die Provinz herunter, als sei jeder, der im Bayerischen Wald lebt, von vornherein ein Depp – dabei sitzen traditionellerweise gerade in Deutschland oft die kreativsten Köpfe in der Provinz. Es hat mir Spaß gemacht, eine solch unterschätzte Figur in diese funkelnde Kreuzfahrtwelt hineinzusetzen – und sie dort einen ungeahnten Aufstieg machen zu lassen.

Dann gibt es noch den tatsächlichen Schiffschreiber. Warum wurde der zu einer eher komischen Figur?

Nun, ich war ja selber als „Schiffschreiber“ auf die MS Europa eingeladen worden. Und da der ganze Roman von Anfang an auf eine Satire hin angelegt war, wollte ich durch die Einführung eines äußerst skurrilen Schriftstellers an Bord klarmachen, dass die Satire auch vor meinesgleichen nicht Halt macht.

Wie kam es zu diesem Angebot, ein halbes Jahr auf der MS Europa zu verbringen? Und wie lange haben Sie überlegt, bis Sie zugesagt haben?

Ich reise ja schon immer gerne, schreibe auch oft Texte, die von diesen Reisen angeregt sind – so ist man wahrscheinlich auf mich gekommen. Überlegt habe ich gar nicht mal so lange: Beim Durchblättern der Kreuzfahrtkataloge fiel mir auf, daß meine Reise ziemlich genau 180 Tage dauern würde – und da hatte ich als alter Jules-Verne-Fan sofort den Titel des Buchs im Kopf. Sozusagen ein Fantasie-Überfall. Denn sogleich sah ich auch vor meinem inneren Auge diesen kleinen Fichtl tapfer die Gangway hinaufgehen, in eine für ihn vollkommen fremde Welt. In diesem Moment wusste ich, dass ich das Buch schreiben wollte, mußte. Vor der endgültigen Zusage habe ich mir von der Reederei natürlich noch jegliche Freiheit des Wortes zusichern lassen.

Die Gesellschaft an Bord erscheint im Roman als eine recht skurrile Parallelgesellschaft. Wie sind Sie damit umgegangen?

Die Reederei hatte eine einzige Bitte an mich: keine Gästeporträts zu schreiben, weil sich die Gäste sonst zurecht in ihrer Privatsphäre beeinträchtigt fühlen könnten. Also habe ich mir schon vor Antritt der Reise ein fiktives Romanpersonal zusammengestellt, das an Bord dann freilich wuchs und wuchs: Wenn nämlich jemand aktiv Lust hatte, im Roman als Figur vorzukommen, dann kam er mitsamt seinen Anekdoten oder Aussprüchen auch hinein.

Gab es während dieses halben Jahres bei Ihnen so etwas wie einen Koller?

Den gab es, aber nicht als Lagerkoller; die Schönheit der Welt alleine zu erfahren, ist ja immer und überall schwer auszuhalten ist, erst recht in der Südsee, um nur mal ein Klischee zu nennen. Regen und Hagel können Sie alleine bestens aushalten, aber Schönheit – das ist schwer.

Johann Gottlieb Fichtl entschließt sich am Ende der Reise, als Matrose anzuheuern und auf dem Schiff zu bleiben. Das hätte dem Schiffschreiber Politycki nicht passieren können, oder?

Nein. Zu den großartigen Erfahrungen dieser Reise gehörte unbedingt auch, mir danach wieder den Luxus der Normalität leisten zu können.