Ein Burger gegen den Hummer
Ein Burger gegen den HummerGespräch mit Volker Isfort anläßlich der Verleihung des Ernst-Hoferichter-Preises
Abendzeitung, 19/1/09
In Vorbereitung zu unserem E-Mail per Interview schreiben Sie, Sie seien ein Lebensweltenarchivar, etwas anderes sei ein Schriftsteller ja nicht. Es gibt unglaublich viel zu archivieren. Ist es da nicht schwierig, sich für ein Thema zu entscheiden, aus dem letztlich ein Buch entsteht?
Der Autor entscheidet sich für ein Thema, der Schriftsteller hingegen wird von seinem Thema gefunden, nein: heimgesucht – meist zum falschen Zeitpunkt und gegen seinen Willen. Keines meiner bisherigen Bücher habe ich aus freien Stücken geschrieben, gar aus Lust oder Kalkül, manche haben sich erst im letzten Moment gegen andre durchgesetzt, die ich bereits drauf und dran war anzupacken. Im Vergleich dazu führt der Hamster im Tretrad ein selbstbestimmtes Leben.
In Ihrem Weiberroman haben Sie dann das Generationenthema aufgegriffen. In der Presse hieß es, dass der von Ihnen geschaffene Protagonist Gregor Schattschneider sozusagen der Missing Link zwischen den Generationen der 68er und der 89er sei. Die Schattschneider’schen 78er eine Generation ohne Eigenschaften wie häufig kolportiert wird. Im Anschluss standen Sie mitten drin in einer öffentlichen Diskussion, einer Art Abgrenzungsdebatte mit dem Ziel, einen zarten literarischen Neuanfang, wenn nicht gar ein gesellschaftskulturelles Umdenken anzustoßen. Wie viel Relevanz messen Sie dieser Generationendiskussion heute, mit dem ein oder anderen Jahr Abstand, zu?
Ich habe den Weiberroman nicht bewußt als Generationen-, sondern als Liebesroman geschrieben; die anschließende Debatte ging zwar von diesem Buch aus, der „literarische Neuanfang“ wurde jedoch entsprechend selten thematisiert. Und heute? Sind die 78er in allen gesellschaftlichen Bereichen vertreten, oft sogar an deren zentralen Schaltstellen – und dennoch so generatiophob wie eh und je. Die gesellschaftlichen Folgen dieses überzogenen Individualismus sind überall zu sehen, zu spüren, wir leben in annähernd 80 Millionen Parallelwelten nebeneinander her.
Im Jahr 2005 haben Sie, vielleicht als Konsequenz aus der eingangs erwähnten Abgrenzungsdebatte, gemeinsam mit den Schriftstellerkollegen Thomas Hettche, Martin R. Dean und Michael Schindhelm ein Positionspapier entworfen, das in Die Zeit veröffentlicht wurde mit der Eingangsfrage „Was soll der Roman?“ Eine Frage, die mich zu der Frage veranlasst, ob es nicht der Begriff „Roman“ selbst ist, der vielleicht einmal selbst vom Sockel gestoßen und auf den Prüftisch gestellt werden sollte, weil er als Gattungsbegriff zu übergreifend und damit unspezifisch für eine immer komplexere und immer unüberschaubarere Realität erscheint?
Aber was wäre damit gewonnen? Nachhaltiger wäre es, die Buchbranche von der Meinung abzubringen, potentielle Käufer würden sich ausschließlich für Romane interessieren, weswegen auf jeder Buchverpackung das entsprechende Gütesiegel stehen müsse, und zwar unabhänging davon, ob darin dann eine lange Erzählung, eine Novelle oder gar ein verkapptes Versepos enthalten ist.
Eine weitere (halb)öffentliche Debatte führen Sie gemeinsam mit Christoph Bartmann im von Ihnen so genannten Prager Protokoll: „Es steht nicht gut um die deutsche Kultur, wenn man vom Ausland auf sie blickt, so eines unsrer von Jahr zu Jahr verzagter intonierten Leitmotive, welch grassierendes Desinteresse an der deutschen Sprache, welch rasanter Verlust an Strahlkraft dessen, was jenseits von Mercedesstern, Adidasstreifen und Niveadose unterm Label ‚deutsch’ firmiert!“ Steht es tatsächlich so schlecht um unsere Kultur als Gesamtgebilde oder taugt diese, im Gegensatz zu Wirtschaftsgütern nicht mehr als Identifikationsfels in der globalen Brandung?
Im Konzert der Kulturen, wie ich es mir als Kosmopolit wünsche (anstelle einer globalen Weltkultur), hätte die deutsche gewiß ihre Stimme – nur wird dies von den Deutschen selbst, die gern zum Extrem neigen, nicht so entspannt gesehen: Die einen erheben sie per Dekret zur Leitkultur, die andern geben sie im Sog der angloamerikanischen Leitkultur allzu bereitwillig preis. Ein vernünftiger Nationalstolz, der seine Grenzen ebenso kennt wie seine Mitte, fehlt trotz unsres WM-Sommermärchens noch immer; außerhalb Deutschlands schüttelt man darüber nur den Kopf.
Noch einmal zurück zum Weiberroman: 1999 – zwei Jahre nach Erscheinen des Weiberromans – hatten Sie Ihre erste, frühe literarische Berührung mit dem Internet über das Projekt Novel in Progress. Initiiert vom ZDF entstand dabei „Marietta“ als Fortsetzung des Weiberromans, im Anschluss als Ein Mann von vierzig Jahren in gedruckter Form erschienen. Welche Erfahrungen haben Sie durch diesen „im Prinzip“ neuartigen Schaffensprozess aus der digitalen in die reale Welt herüber gerettet?
Vor allem bin ich, abgesehen von Einzelerfahrungen, seither in der „digitalen Welt“ geblieben bzw. habe sie als Teil der „realen“ akzeptiert und mich dort häuslich eingerichtet, nicht zuletzt auf einer eigenen Homepage. Mit der Hand schreibe ich seitdem nurmehr allererste Notizen, das frühzeitige „Einpflegen“ derselben in die betreffende Textdatei verändert die Notate selbst, formal wie inhaltlich, und hängt dem ersten kreativen Schub notgedrungen gleich einen zweiten hintenan: Das Medium verändert die Botschaft. Daß es trotzdem weiterhin um ein uraltes Handwerk geht, das nichts, aber auch gar nichts mit „Internetliteratur“ zu tun hat, versteht sich.
Während der Entstehungsphase zu „Marietta“ antworteten Sie in einem virtuellen Dialog einer Leserin, die antiliterarische Qualität im Netz läge vermutlich mit an der habituell gehetzten Haltung im Medium. Wie stehen Sie heute, 8 Jahre später, zu dieser Aussage und damit zur Qualität im und für das Netz entstehender Literatur?
Unverändert – ich beobachte diese Gehetztheit an mir selbst, sobald ich online gehe, obwohl man seit dem Siegeszug der Flatrate ja auch im Virtuellen alle Zeit der Welt hätte. Hätte! Aber de facto nimmt man sie sich nicht, die Verweildauer auf einzelnen Seiten oder Unterseiten ist gering im Verhältnis dazu, wie lang man sich auf der Seite eines konventionell gedruckten Buches mit Anstreichungen und Randbemerkungen aufhalten kann – Internetliteratur liest sich so schnell weg wie ein Comic.
Wo wir gerade beim Thema Qualität sind: Sie haben eine „neue Lesbarkeit“ eingefordert, was die neuere deutschsprachige Literatur anbetrifft. Womöglich tritt hier wieder die Diskrepanz zwischen Kunst und Kommerz zutage. Wie können und sollten wir uns diese „neue Lesbarkeit“ als Leser vorstellen?
Neue Lesbarkeit, wie ich sie 1998 im Vorwort von Die Farbe der Vokale definiert habe, verzichtet nicht auf den Tiefgang des Erzählens, gewinnt im Interesse der Tiefe aber auch deren Oberfläche wieder zurück – die Erzähloberfläche, auf daß Lesen nicht nur ein entsagungs-, sondern gleichermaßen auch ein lustvolles Unternehmen werde. Übrigens sind die damaligen ästhetischen Prämissen längst von der tatsächlichen Literaturproduktion eingelöst worden – was zur Publikation von jeder Menge gut gemachtem Kunsthandwerk geführt hat.
Von Deutschland in die Welt: Die Kritikerin der NZZ, Alexandra Kevdes schreibt über Sie: „Selten hat ein reisender Romancier heute das Andere und das Eigene so scharf angeschaut – und das Anschauen dazu“. Was bezeichnen Sie für sich selbst als das „Eigene“ und was als das „Andere“?
Selbstverständlich sind die Grenzen dazwischen fließend, abhängig von Alter, Erfahrung, Lebenssituation; und dennoch bleibt uns wohl zeitlebens etwas als Wesenskern eingepflanzt, den man am Tag der Heimkehr aus der Fremde am deutlichsten spürt: als Freude, wieder auf selbstverständlich-unangestrengte Weise am alltäglichen Leben teilzuhaben, halbmechanisch Handlungen im öffentlichen Raum zu vollziehen, also nicht erst mal alles und jedes hinterfragen zu müssen. Das „Eigene“ ist, in meinem Fall, schlichtweg das, was unseren deutschen Alltag ausmacht – es fällt mir schwer, dies so simpel zu formulieren, aber was sonst sollte das Eigene sein? Das Deutsche als eine zweite Haut, aus der ich dann auch im Ausland nicht ganz schlüpfen kann – und will.
Mit Herr der Hörner haben Sie 2005 ein epochales Werk geschaffen. Sie haben das Buch größten Teils wenn nicht gar komplett auf Kuba geschrieben. Haben Sie die Handlung in Form von Romanschnipseln mit nach Kuba genommen oder entstand die Geschichte im Wesentlichen unter dem Einfluss Ihres dortigen Aufenthaltes?
Eine Geschichte wird nicht gemacht, sie ist als „Primärvision“ plötzlich da, man „sieht“ sie, fühlt sie, kann sich ihr nicht mal mehr im Schlaf entziehen – außer man schreibt sie auf. Das war im Fall des Hörnerherrn nicht anders, ich wollte eigentlich einen ganz anderen Roman schreiben, aber, s.o., auch bei literarischen Impulsen gilt das Gesetz des Stärkeren, Phantasie funktioniert verdammt darwinistisch. Der Rest, und sei er 700 Seiten stark, ist Sitzfleisch, Recherche, Ausdauer, Erfahrung, Selbstdisziplin, mehr nicht.
Sowieso sind Sie sehr viel unterwegs. Gefolgt sind Sie Anfang des Jahres einer Einladung von Hapag Lloyd. Als Schiffsschreiber sind Sie sozusagen mit und in einem eigenen Universum von Kontinent zu Kontinent, von Land zu Land, von Hafen zu Hafen gereist. Im Verlag Antje Kunstmann wird im Frühjahr 2008 ein Hörbuch erscheinen, gleichzeitig ein Roman bei Mare. Eine Art Schelmenroman, gesponnen aus Seemannsgarn. Danach, so sagten Sie in einem Interview, würden Sie für einige Monate vor die eigene Haustür reisen. Was gibt es da zu entdecken, was dem Reiz der Ferne noch ebenbürtig sein kann?
Jede Menge, vor allem den Luxus der Normalität. Wer lang genug in der Ferne ist, begreift auch diese Tag für Tag ein Stückchen mehr als Nähe – und sehnt sich nach einer Ferne, über die er früher als eine, als seine ureigenste und also unreflektiert vertraute Nähe ganz fraglos verfügt hat. Es ist in der Tat reizvoll, nach so langer Abwesenheit in den eignen kleinen Kiez zurückzukehren und die einst vertrauten Dinge und Menschen mit den verwunderten Augen des Neuankömmlings zu betrachten.
Die Bonusfrage ohne Tradition, die zur Tradition werden soll: Eine Klischeefrage, passend zum Thema Internet: Angenommen, man stellt Sie vor die Wahl, Ihr nächstes Buch mit einer furchtbar nostalgischen Schreibmaschine oder mit einem aktuellen Laptop zu schreiben. Wie viel Romantik und Nostalgie steckt in Ihnen und wie viel Pragmatismus und Moderne?
Keine falschen Gegensätze! Und vor allem: keine falsche Romantik! Selbstverständlich schreibe ich seit Jahren auf einem iBook, genieße nicht nur dessen Vorzüge gegenüber der … nein: nicht etwa der Schreibmaschine, sondern (wenn schon, denn schon) der selbstgemischten Tinte und des jahrelang vertrauten Füllers. Sondern genieße auch dessen ästhetischen Surplus, die Schönheit seiner Bildschirmoberfläche. Und last not least: Wer heutzutage auf die Such- und Speicherhilfen des Computers verzichtet, der kann gewisse Erzähltechniken nur bis an einen gewissen Punkt vorantreiben, denjenigen nämlich, wo einem das Gehirn schier bersten möchte vor lauter rotem Fadenknäuel, verlornen Leitmotiven, losen Erzählenden, wo sich die Papierschnipsel zu einem Ideenpuzzle anordnen, in dem ausgerechnet das gesuchte, das erlösende Teil stets fehlt. Wer sich nach der perfekten Erzähloberfläche sehnt, der sollte nicht aus nostalgischen Gründen auf imperfekte Erzählwerkzeuge zurückgreifen!