„Ein fabelhaft durchdachtes und bewältigtes Sprachfest“

„Ein fabelhaft durchdachtes und bewältigtes Sprachfest“Interview: Arne Schneider

erschienen/erscheint bei:

Bericht des Goethe-Instituts für den Fachbeirat „Literatur und Übersetzungsförderung“, 23/12/11; als Teil des internen Newsletters des Goethe-Instituts („goethe aktuell“) weltweit verschickt, Januar 2012.

Entstehungszeitraum: 22/12/2011

Interview (Kompletter Text)

Es geht in meiner Magisterarbeit um „Sprachspiele“ und die Zusammenarbeit zwischen Autoren und Lektoren. Unter „Sprachspielen“ verstehe ich den experimentellen Umgang mit Sprache, wie beispielsweise die Verwendung von Neologismen, metaphorischen Sprachgebrauch, Wortspiele, ungewöhnliche Wortzusammensetzungen …
Meine erste Frage: Warum verwenden Sie Sprachspiele, wie beispielsweise „Zeit zergabeln“ im „Weiberroman“? Verfolgen Sie damit ein bestimmtes Ziel?

Ich bin mit experimenteller Literatur – Carl Einstein, Dada usw. – großgeworden, mein erster Roman, „Aus Fälle / Zerlegung des Regenbogens“ enthielt wahrscheinlich mehr Sprachspiele zzgl. Sprachzertrümmerung, -neuzusammensetzung und grammatikalische Extravaganzen aller Art als Handlung. Im Grunde habe ich mich seitdem (der Roman erschien 1987) sprachspielerisch eher reduziert, denn ein Zuviel an Sprachspiellust reduziert die Leselust, wie man z.B. bei der Arno-Schmidt-Lektüre merkt. Insofern verwende ich Sprachspiele weiterhin, auch im Gespräch, weil es mir eben Spaß macht; aber diesen Spaß am Detail versuche ich mittlerweile dem (zumindest angepeilten) Vergnügen am Ganzen unterzuordnen.

Halten Sie sich bei der Verwendung von Sprachspielen in Ihren Romanen immer an grammatische Regeln?

Sprachspiele funktionieren ja meist als Durchbrechung von grammatikalischen Regeln, insofern klares Nein.

Wenn Sie sowohl Gedichte als auch Romane veröffentlicht haben – unterscheiden diese sich hinsichtlich Anzahl und Art der verwendeten Sprachspiele?

Grundsätzlich nicht, ich komme von der Lyrik, auch als Prosaschreiber, mache also sprachlich keinen Unterschied zwischen den Gattungen, erst recht keine Abstriche. Aber, wie gesagt, Sprachspiele sind nicht der höchste Anreiz beim Schreiben, es ist viel schwerer, darauf zu verzichten, guten Gewissens darauf zu verzichten. Bei Gedichten wie bei Romanen gleichermaßen.

Wieviel Freiraum lässt Ihnen Ihr Lektor beim kreativen Umgang mit der Sprache? D.h. diskutiert Ihr Lektor mit Ihnen über die von Ihnen verwendeten Sprachspiele? Wenn ja, warum?

Das kommt auf den Lektor an; mein derzeitiger – mit dem ich seit 1995 zusammenarbeite – diskutiert mit mir selbst über Zeichensetzung; das Vergnügen einer solchen Zusammenarbeit besteht ja gerade darin, daß alles, wirklich alles auf den Prüfstand kommt und liebevoll-kritisch durchgesprochen wird. Übrigens macht der Lektor mitunter sogar eigene Vorschläge für Sprachspiele, auch er kommt ursprünglich von der Postpostpostavantgarde.

Können Sie ein konkretes Beispiel für ein Sprachspiel nennen, das eine Diskussion mit dem Lektor ausgelöst hat, aber vor Veröffentlichung des Buches trotzdem nicht verändert wurde?

Nein, leider nicht. Aber im Prinzip wird sehr vieles, das wir kontrovers diskutiert haben, nicht verändert, das gehört ja zu den Spielregeln einer solchen Zusammenarbeit.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen für ein Sprachspiel, das eine Diskussion mit dem Lektor ausgelöst hat, und dadurch vor Veröffentlichung des Buches verändert wurde?

Ebensowenig.

Hatten Sie bei Ihrer ersten Veröffentlichung mehr Diskussionen mit Ihrem Lektor als bei späteren Werken?

Das war im Jahre 1986, der Roman (s.o.) strotzte derart vor Sprachspielen et alter, vor allem auch vor Sprüngen des Textes von Vorder- auf Rückseiten und wieder zurück, daß der Lektor (ein anderer als mein derzeitiger) den kompletten Stapel Papier entschlossen in die Herstellung schob, ohne auch nur eine einzige Korrektur vorzunehmen: Der Text wurde eins zu eins zu meinem maschinenschriftlichen Manuskript gesetzt, im Flattersatz. Insofern hatte ich damals weit weniger Diskussion als in den Jahren danach.

Ist in der Literatursprache alles möglich oder gibt es Ihrer Meinung nach eine Grenze zwischen Sprachspiel und Sprachfehler?

Selbstverständlich gibt es diese Grenze; das Sprachspiel funktioniert ja nur, wenn es in einer Sprache eingebettet ist, die vom Autor ganz offensichtlich beherrscht wird, womöglich gar: der man die dahinterstehende Artistik anschmeckt. Zum Beispiel am aufwendigen Satzbau, an der (grammatikalisch richtigen) Verwendung von Konjunktiv I und II. Erst wenn der Leser merkt, daß der Autor souverän über sein Metier verfügt, ist er zum Mitspielen bereit. – Ansonsten wäre ja ein Fehler wie „es macht Sinn“ bereits ein Sprachspiel; dabei ist es nur ein Armutszeugnis, ein Verlust an Sprachkompetenz.

Wenn es eine Grenze gibt, wie wirkt sie sich auf Ihre Arbeit als Autor aus?

Auf meinem Schreibtisch und um ihn herum bin ich umgeben von den diversen Duden, sie sind sichtbare Marksteine dieser Grenze, ich orientiere mich täglich daran (darin). Bemühe mich darüberhinaus, eine Art alte Rechtschreibung hochzuhalten, sie ermöglich durch ihre klareren Vorgaben weit mehr an punktuellen Regelverletzungen als die neue; wünsche mir schließlich bei jedem Buch die strengstmögliche Korrekturleserin vom Verlag – noch aus deren Fahnenkorrekturen lerne ich stets etwas dazu. Das Sprachspiel funktioniert wie jedes Spiel nur dann, wenn man die Regeln kennt, sich „im Prinzip“ auch an sie hält und nur ab und zu durchbricht. Aber ich kenne ja längst nicht alle Regeln …

Was macht eine gute Zusammenarbeit zwischen Autor und Lektor aus?

Ein Geben und Nehmen ohne falsche Eitelkeiten. Die Lust am gemeinsamen Phantasieren und Drauflosfabulieren. Die Freude am Satzbau, die immer wieder euphorische Suche nach dem Wohlklang der Perioden. Ein Grundvertrauen in den jeweils anderen, daß er zugunsten des Textes alles Erdenkliche gegen ihn einwenden wird, um ihn stärker zu machen. Summa summarum: eine Freundschaft auf Augenhöhe.