Eintauchen in den Luxus

Eintauchen in den LuxusGespräch mit Christine Hinkofer

erschienen/erscheint bei:

Münchner Merkur und tz, 28./29.10.06

Entstehungszeitraum: 18/10/2006

Interview (Kompletter Text)

ABENDBLATT: Was war Ihre Reaktion, als man Sie fragte, ob Sie für sechs Monate als Schiffsschreiber um die Welt reisen möchten?

MATTHIAS POLITYCKI: Verdammt gute Frage!

ABENDBLATT: Sie hatten also von Anfang an richtig Lust dazu?

POLITYCKI: Ja, ich bin schließlich ein Reisejunkie. War bei meinen Eltern auch nicht anders zu erwarten: Kaum konnte ich halbwegs gehen, mußte ich schon mit auf den Vesuv. Und später, während der Schulferien, auch ständig irgendwohin – statt daß ich mir in Ruhe eine gute Musikanlage zusammenjobben konnte. Reisen war vielleicht das einzige Laster meiner Eltern, und spätestens, nachdem ich als Student einen Mercedes nach Ägypten überführt hatte, war ich selber süchtig.

ABENDBLATT: Schriftsteller gibt es viele. Wie wird man ausgerechnet der erste Schiffsschreiber auf der MS Europa?

POLITYCKI: Bewerben kann man sich jedenfalls nicht, es gibt ja keine Jury. Weil Hapag-Lloyd für seine Kulturkreuzfahrten aber schon immer Künstler und Wissenschaftler an Bord geholt hat, war der Kreis gewiß nicht klein, in dem man sich umhören konnte. Zum Glück war einer der Ratgeber Niko Hansen, mein erster Verleger. Aber Sie dürfen sich das nicht so vorstellen, dass da sofort eine Entscheidung gefallen wäre, es gibt ja auch Berührungsängste zwischen einer Reederei und einem Schriftsteller. Und zwar von beiden Seiten: Wollen die mich etwa vereinnahmen? Bzw.: Laden wir uns hier vielleicht den Leibhaftigen an Bord, der unser Schiff in Grund und Boden schreibt?

ABENDBLATT: Was wird denn genau Ihre Aufgabe an Bord sein?

POLITYCKI: Schiffsschreiber heisst nicht, dass ich unbedingt schreiben müßte. Zunächst einmal bin ich Schiffsvorleser, ich habe im Lauf der Reise 13 Lesungen. Darüberhinaus gibt es natürlich, wie bei Stadtschreibern, gewisse gesellschaftliche Verpflichtungen – ich werde den Passagieren im Rahmen eines Künstlerabends vorgestellt, und danach wird gewiß der eine oder andre mal auf mich zukommen. Ansonsten? will ich natürlich schreiben und muss es auch: nämlich an meinem übernächsten Buch für Hoffmann und Campe, schließlich habe ich meinen Abgabetermin zu erfüllen, ob an Land oder auf See.

ABENDBLATT: Es gibt das Klischee vom Künstler, der ein wenig darben muss, um überhaupt kreativ zu sein. Können Sie sich vorstellen, dass sich das andere Extrem, der permanente Luxus, auf Ihr Schreiben auswirken wird?

POLITYCKI: Dafür bin ich zu alt. Kenne überdies, auch ohne MS Europa, den einen oder andern Ort, an dem man sich ganz komfortabel für eine Weile erholen kann – zum Beispiel nach einer anstrengenden Reise durch Afrika oder Indien – und dann trotzdem auch gern wieder abreist: nach Hause, in den Luxus der Normalität! Nebenbei bemerkt: Ich verstehe mich nicht als einen dieser randständigen Schriftsteller, den jeder gleich fragt: Haben Sie Hunger? Der seine Freigeisterei durch eine verschmuddelte Lederjacke darstellen muß und bei allem immer erst mal ein bisschen dagegen ist. Ein Auslaufmodell! Meiner Meinung nach ist Schriftstellerei ein Dienstleistungsgewerbe wie jedes andre auch: Man hat eine Erwartung zu erfüllen, diejenige des Publikums und natürlich auch die eigne. Wenn man diese grundsätzliche Leser- und Weltzugewandtheit hat, dann hat man sie automatisch auch gegenüber dem Klientel, das auf der MS Europa Urlaub macht oder eben arbeitet.

ABENDBLATT: Dürfen Sie auch hinter die Kulissen gucken?

POLITYCKI: Das war ursprünglich nicht vorgesehen. Aber ich habe Hapag-Lloyd vermitteln können, daß aus dieser Reise nur dann ein Stück Literatur werden wird – falls überhaupt! -, wenn ich das gesamte Schiff wie einen schwimmenden Gesellschaftsroman erleben kann: ganz unten die Filipinos im Maschinenraum, zwischendrin all die dienstbaren Geister, die im Verborgenen wirken, irgendwo die „normalen“ Gäste, ganz oben die Butler mit den entsprechenden Herrschaften. Ein spannendes Räderwerk, das wahrscheinlich jeden Tag neu nachjustiert werden muss – in Krisensitzungen hinter den Kulissen, mit Noteinkäufen an Land. Es gibt eine eigene Bordzeitung, ein Fernsehstudio, ein Reisebüro, eine Art-Direktrice. Sogar einen Golfsimulator mit Trainer – den muß man natürlich sogar als ehemaliger Fußballspieler mal ausprobieren, so etwas macht ja den Reichtum dieser Reise aus, nicht so sehr die Cocktails am Pool.

ABENDBLATT: Glauben Sie, dass die Landgänge in der Gruppe für Sie als geübter Individualreisender ein Schock sein werden?

POLITYCKI: Ich werde bewusst auch organisierte Tagestouren mitmachen, um zu sehen: Wie lernt man auf diese Weise ein Land kennen? Kann gut sein, dass man dabei häufiger mit Klischees konfrontiert wird.

ABENDBLATT: Welche Station birgt denn für Sie den größten Reiz?

POLITYCKI: Wo man noch nie war, ist der Reiz am größten: in meinem Fall die Südsee. Immer interessant ist für mich eine Rückkehr nach Santiago de Cuba – wenn dann das Romanpersonal aus „Herr der Hörner“ am Kai steht und dazwischen die Geheimpolizei. Einem Freund bringe ich dort ein Blutdruckmeßgerät mit, einem anderen ein Paar Schuhe, die er dringend braucht. In Havanna besuche ich meine Übersetzerin, dort werde ich wahrscheinlich auch einige Flaschen Rum kaufen für eine Bordparty.

ABENDBLATT: Welchen Landgang werden Sie eventuell auslassen?

POLITYCKI: Wohl die Bahamas, die sind vom Tourismus mittlerweile ziemlich verdorben.

ABENDBLATT: Vom Tropenaufenthalt bis zum Captainsdinner – wie haben Sie sich vorbereitet?

POLITYCKI: Ich bin in München groß geworden, da spielen Kreuzfahrtschiffe nicht die ganz große Rolle. Daß man einen Smoking braucht, wußte ich trotzdem, nun besitze ich auch einen – für einen Schriftsteller gehört das ja nicht unbedingt zur Arbeitskleidung. Ein neues iBook mußte auch sein; das alte hätte womöglich mitten auf hoher See seinen Geist aufgegeben – und ich wette, daß es an Bord keine Ersatzteile für einen Mac geben wird! Mein Verleger hat mir zudem ein dickes Lexikon über nautische Begriffe geschenkt, damit ich mich nicht allzusehr blamiere. Auf diese Weise kommt einiges zusammen. Der erste Koffer ist schon unterwegs. Und der zweite wird genauso schwer.

ABENDBLATT: Haben Sie Romane im Gepäck, die auf See spielen?

POLITYCKI: Zum wiederholten Male werde ich Moby Dick zu lesen versuchen, und wahrscheinlich werde ich wieder bei der Hälfte aufgeben – ist ja oft so bei Büchern, die einen guten Ruf haben. Aber ehrlich gesagt: Literatur ist mir beim Reisen gar nicht so wichtig, für mich fällt Lesen ja unter Arbeit. Das wichtigste, was ich in dieser Hinsicht mitnehme, sind meine drei Duden, die ich auf jedem Schreibtisch brauche: blau, rot, gelb. Darin lese ich täglich, manchmal ganze Kolumnen.

ABENDBLATT: Haben Sie Angst vor einem Buden- bzw. Schiffskoller?

POLITYCKI: Heimweh ist wesentlicher Bestandteil einer solchen Reise, da mache ich mir nichts vor. Aber ich habe genug Ablenkung, werde von mehreren Journalisten besucht, es soll ein Hörbuch gemacht werden, Fernsehberichte … Und zum Glück besucht mich ja auch mal meine Frau!

ABENDBLATT: Haben Sie ein Abschiedsritual, mit dem Sie am Sonntag Hamburg verlassen?

POLITYCKI: Ich muss an diesem Tag ein Manuskript abgeben – sowas funktioniert bei mir immer auf den letzten Drücker. Ich werde also in der Nacht vor der Abreise, nachdem ich gepackt habe, nochmal an den Computer gehen, die ganze Nacht durcharbeiten und mit fliegenden Rockschößen am nächsten Vormittag zum Flughafen fahren.