„Gerade noch knapp an den Stangen vorbei“
„Gerade noch knapp an den Stangen vorbei“Gespräch mit Harald Klauhs
Die Presse, 7/2/06
Braucht deutsche Literatur ein gemeinsames Forum?
Nein – weil es sie im Singular gar nicht gibt. Sondern viele verschiedne Parallel-Literaturen, die ihre Foren haben oder eben nicht.
Was denken Sie über Grass‘ neu gegründete Literaturgruppe?
Von einer Gruppenbildung war in seiner Einladung nie die Rede. Sondern vom informellen Gespräch über Texte – ohne weltanschauliche oder politische Vorab-Ausrichtung. Die Medien interpretierten da sehr viel hinein.
Inwiefern hat sich die Situation der Schriftsteller im Vergleich zur Gruppe 47 geändert?
Es gab gewiß eine Überpolitisierung der älteren Generation, die der Literatur nicht immer gut tat. Und in Abgrenzung dazu eine bewußte Zurückhaltung meiner Generation. Jetzt, da die goldnen Jahre definitiv vorbei sind, gibt es auch bei uns wieder verstärkt den Wunsch nach „Anteilnahme“ am gesellschaftlichen Geschehen.
Ist politisches Engagement für einen Schriftsteller notwendig?
Nein. Politische Literatur selbst hat nur eine geringe Halbwertzeit, sie verbraucht sich mit ihrem Gegenstand. Relevante Literatur dagegen entsteht meist jenseits der gesellschaftlich „drängenden“ Fragen, sie ist ihnen nicht selten auf ein Weise voraus, die der Zeitgeist gar nicht erkennen kann. Mit der Behandlung „deutscher“ Themen z.B. ist man im Feuilleton immer auf der sicheren Seite; in einer zukünftigen Literaturgeschichte wird das freilich nur eine Fußnote sein.
Wird Literatur immer trivialer?
Das ist sie zu großen Teilen stets gewesen. Neuerdings ist aber sogar die bürgerliche Kulturgesellschaft in viele verschiedne Eventgesellschaften zerfallen: Es gibt immer weniger Literatur, über die Konsens herrscht, die „man“ gelesen haben muß. Traurig, daß wir im Alter kaum etwas haben werden, an das wir uns gemeinsam erinnern können.
Ist Literatur mehr als nur Unterhaltung für Intellektuelle?
Nichts gegen Unterhaltung, aber Literatur, die sich selber ernst nimmt, muß ans Substantielle ran, muß den Leser ergreifen, und sei’s gegen seinen Willen. Reine Unterhaltung poliert dagegen nur die gängigen Oberflächen.