„Hauptsache, es bewegt sich. Und am liebsten lautlos“

„Hauptsache, es bewegt sich. Und am liebsten lautlos“Interviewfragen: Sigried Wesener

erschienen/erscheint bei:

deutschlandradio.de, 17/3/11

Entstehungszeitraum: 13/03/2011

Interview (Kompletter Text)

Sind Literaturfestivals nicht eher eine Sache für kleine Orte, wo sonst nicht viel los ist?

Stimmt, mit Festivals in Orten wie Albstadt, Nettetal, Langenau habe ich die besten Erfahrungen gemacht. Da spürt man förmlich das Interesse, man fühlt sich als Gast sofort wohl. Das müßte man in München aber auch hinkriegen! Was wir hier jedenfalls allen anderen Festivals voraushaben: jedes Jahr einen anderen Kurator, der das Programm ganz frei gestalten kann – mit persönlicher Handschrift. Also quasi jedes Jahr ein anderes Festival.

Was planen Sie?

Eine grundsätzliche Sichtung der deutschsprachigen Literatur. Einschließlich der Debatte darüber. Es wird also jeden Tag feste Programmplätze für Diskussion, Lesung und nicht zuletzt auch für Geselligkeit geben. Da macht sich meine Münchner Herkunft bemerkbar, ein kulturelles Ereignis ist für mich erst rund, wenn man es gemeinsam ausklingen läßt. So soll jeden Abend ein „Salon der lebenden Schriftsteller“ stattfinden, in dem man sich nach der letzten Veranstaltung trifft. Immer am selben Ort. Und mit Autoren, die idealerweise ein paar Tage in der Stadt bleiben, auf daß man sie auch jenseits des Programms treffen und ansprechen kann.

Sie meinen: prominente Autoren …

Gewiß; aber ich möchte vor allem interessante, wichtige Autoren präsentieren, gleich welchen Bekanntheitsgrades. Selbst wenn sie 2011 gar kein neues Buch herausgebracht haben.

Ist die gute alte Dichterlesung angesichts all der neuen Medien überhaupt noch zeitgemäß?

Politycki: Unbedingt. Ein Buch lesen ist das eine; den Verfasser desselben erleben, wie er daraus liest und darüber spricht, ist etwas ganz anderes. Um diese unsere Vorlesekultur werden wir nach wie vor weltweit beneidet.

Sind junge Leute damit auch zu erreichen?

Meiner eigenen Lesungserfahrung nach sehr wohl! Man erreicht Jugendliche nicht nur über Poetry-Slams und Comics, sondern gerade auch über Hardcore-Literatur, sogar mit Gedichten, sofern sie aus dem gelebten Leben kommen und dem Zuhörer etwas davon vermitteln wollen. Da ist ein 17-jähriger genauso zu begeistern wie ein 70-jähriger. Und deshalb ist es mir auch wichtig, die Münchner Schulen beim Literaturfest einzubeziehen – vielleicht in Form einer „Patenschaft“ für jeweils einen der Autoren, den sie dann auch zu einer Schulveranstaltung einladen.

Dann hätte also Hochkultur gegen Eventkultur noch eine Chance …

Wenn man damit so klotzen kann wie beim Münchner Literaturfest, allemal. Natürlich sind die zahllosen Events, die den eigentlichen Kulturbetrieb in der öffentlichen Wahrnehmung an den Rand gedrängt haben, für einen Bildungsbürger kein Ersatz fürs Eigentliche. Aber sehen wir’s mal positiv: Das Literaturfest einer Literaturmetropole wie München erscheint von fast allen andern Orten Deutschlands aus gewiß wie ein Mega-Event.