Im Wechselbad der Gefühle

Im Wechselbad der GefühleInterview: Rolf-Bernhard Essig

erschienen/erscheint bei:

gekürzt in: Nürnberger Zeitung/Nürnberger Nachrichten, 29/8/09

Entstehungszeitraum: 25/08/2009

Interview (Kompletter Text)

„Frauen. Naja. Schwierig“ hieß ein Lyrik-Programm, mit dem Sie vor einiger Zeit durch die Lande getourt sind. Rückfrage an den Dichter: Lyrik. Naja. Schwierig?

Ich mache gar keinen so großen Unterscheid zwischen Lyrik und Prosa; beides läuft doch, das eine auf der Kurz-, das andere auf der Langstrecke, vor allem auf die Mitteilung von Erfahrung hinaus. Auch ein Gedicht sollte im Idealfall nicht etwa bloß interessant sein, sondern wahr und also gut und vielleicht sogar schön. Insofern ist man als Schriftsteller, und zwar als Lyriker wie als Romancier, nichts anderes als ein Dienstleister gegenüber dem Leser; nur weil wir Leser haben, sind wir doch überhaupt Schriftsteller!

Trotzdem sind Sie vor allem als Romanautor bekannt. Lyrik ist eher ein Nischenmarkt. Müssen Sie sich bisweilen fürs Gedichtschreiben rechtfertigen?

Alle paar Jahre bei meinem Verleger (lacht). Nein, bei dem nun ausgerechnet gar nicht; aber ansonsten werden Gedichte ja kaum mehr wahrgenommen – und das ist eigentlich viel schlimmer! Lyrik, als Gattung im Grunde ursprünglich mal die Königsdisziplin jeder Literatur, ist in Deutschland längst jenseits von Wurst und Käse gelandet, als Quasi-Synomym für eine milde Form des Schwachsinns. Daß sie knallhart sein kann und schockierend erhellend oder auch sinnlich, musikalisch, witzig, was-weiß-ich-alles, das scheint man hierzulande fast schon vergessen zu haben.

Der Trend der Poetry Slams scheint dem aber entgegenzuarbeiten. Wird Lyrik so langsam wieder konsumierbar?

Sie war es schon immer oder hätte es zumindest sein sollen – Unkonsumierbarkeit ist schließlich kein Wert an sich. Ein normaler Leser, der beim Lesen keine masochistischen Ambitionen hegt, will ja im besten Sinne unterhalten werden – immerhin bezahlt er sogar dafür! Und ob beim Slam oder auf Papier, ein gutes Gedicht wirkt entweder sofort oder nie, es geht unter die Haut. Und später erst, wie Musik ja auch, ins Gehirn.

Auf der Coverrückseite ihres neues Bandes wirbt Elke Heidenreich: „Wir kennen ihn – ein guter Autor“. Ist Heidenreich die Versicherung für den Mainstream, falls jemand Angst vor 88 Gedichten bekommt?

Nischenlyrik will ich jedenfalls keine machen, habe sogar einen besonderen Ehrgeiz, mit Gedichten gelegentlich selbst Pizzabäcker oder mobile Brezelverkäuferinnen zu erreichen. Das kann man auch, sofern man ihnen erst mal die Angst vor der Lyrik nimmt, genau genommen davor, sie nicht zu verstehen. Ehrlich gesagt: Wenn ich so manche Gedichte lese, bei denen ich am Ende ratloser dastehe als vor der Lektüre, da geht’s mir doch auch nicht anders – die muß man einfach abhaken. Es liegt in den seltensten Fällen am Leser, wenn er und ein Gedicht nicht zueinanderfinden.