„Lebendiger Literaturbetrieb“

„Lebendiger Literaturbetrieb“Fragen: Oliver Ruf

erschienen/erscheint bei:

Deutschmagazin 5/11. Oldenbourg Sep./Okt. 2011

Entstehungszeitraum: 10/07/2011

Interview (Kompletter Text)

Herr Politycki, wie viel Pints mussten Sie trinken, um das Buch „London für Helden“ zu schreiben?

Wenn Sie zählen, wieviele Sorten darin verkostet werden, hätte ich es gar nicht mehr schreiben können. De facto war ich ja mehrere Monate vor Ort, hatte vor allem durstige Mittrinker. Ohne sie und ihren Witz wäre’s nicht zu schaffen gewesen.

Britisches Bier hat nicht den besten Ruf. Warum haben Sie sich das angetan und einen Streifzug durch Londoner Pubs unternommen?

Wer in der Globalisierungsfalle sitzt, freut sich über alles, was noch regional verwurzelt ist, erst das macht einen Ort ja einzigartig. Überdies gibt’s ja auch einen Biertrinkerhorizont, über den man gelegentlich schauen sollte: Schon die Namen der englischen Ales, die Schönheit der Wappen, der Witz der Werbesprüche – das ist eine Welt für sich. Wär’ doch traurig gewesen, wenn ich dort nur Beck’s getrunken hätte!

Was ist der Unterschied zwischen Ale und Real Ale?

Nur Real Ale ist „wirklich“ Ale – selbst Engländer haben sich zu einem Reinheitsgebot hinreißen lassen, vor rund 40 Jahren. Was sie in den vergangnen Jahrhunderten versäumt haben, holen sie nun mit Verve nach: Sie preisen ihr Real Ale an, als wär’s ein Bordeaux, entfachen um jede saisonale Sonderabfüllung einen Kult. Nicht unwitzig! Wenn’s ernst wird, kommt Real Ale freilich ohne extra Kohlensäure ins Glas – deshalb sind die Handpumpen fürs Ale auch viel größer als für Lager-Biere, das ist noch richtig Handarbeit. Aber stop, ich bin kein Bierpapst! Sondern Pub-Gänger, interessiere mich für all das, was dort auf engstem Raum zusammenkommt, was man von der Stadt und ihren Bewohnern kennenlernen kann. Man darf da eben nicht nur ins Glas schauen, sondern vor allem in die Kneipe.

Ist Real Ale vom Aussterben bedroht? Schließlich wird auch in England viel anderes verkauft.

Die globalen Superkartelle wie Heineken oder Carlsberg sind selbstverständlich auch in England präsent. Insofern bekommen Sie auch in jedem Pub Biere, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner alles Bierigen herunterdestilliert sind und gerade eben noch nach „Bier“ schmecken. Wenn die englischen Brauereien vor einigen Jahrzehnten angefangen haben, auf die Besonderheiten einheimischer Produkte zu pochen, so haben sie im Grunde nichts weniger als den Kampf gegen den Globalismus aufgenommen.

Das „London Pride“ beispielsweise schmeckte Ihnen nicht besonders. Sie konnten sich nicht entscheiden, ob es nach verranztem Murmeltier, nach räudigem Kater oder Ziegenbock schmeckt.

Nunja, „London für Helden“ ist eine Satire, also etwas Tiefernstes in sarkastischer Verpackung. Die Briten haben ihren radikalen Humor seit Jahrzehnten exportiert, höchste Zeit, ihn jetzt auch mal auf sie selber anzuwenden, sogar als Deutscher.

Ist „London für Helden“ ein Reiseführer?

Bestimmt, sonst hätten wir ja nicht den Stadtplan mit den einschlägigen Pubs abgedruckt, auf daß man das Buch auch nachtrinken kann. Aber bierernst darf man die Sache natürlich nicht angehen. Auch wenn es, im Buch, immer mal wieder ernst, ja, bitter wird, sobald sich der Graben schlagartig auftut, der zwischen Briten und Deutschen noch immer existiert. Schon verrückt, daß „No Nazi aftertaste“ noch heute als Werbeformel für eines der gängigen Ales funktioniert, oder?

Warum haben Sie dafür die Versform gewählt?

Die Entscheidung für eine Form läuft ebenso irrational ab wie die für den Stoff, dagegen ist man machtlos. Wenn der Druck groß genug ist, kommt freilich auch ein Gedicht mächtig in Fahrt. Darin kann man dann viel schneller auf den Punkt kommen als in Prosa, und süffiger lesen kann man’s am Ende auch.

Sie waren vor allem im Londoner East End unterwegs, als Deutscher unter Engländern. Auf welche Klischees sind Sie da gestoßen?

Buchstäblich auf jedes – und immer auch auf seinen Gegensatz. Zum Beispiel auf bizarre Verehrer der Wehrmacht, andrerseits auf versprengte Kräfte, die die deutsche Nationalelf noch immer am liebsten mit Stahlhelm in der Tageszeitung abgebildet sehen. Im Osten Londons ist das Pflaster deutlich rauher als in der City oder im West End, gelegentlich wird dort noch der traditionelle Unterschichtensport German-bashing betrieben, da ist man dann erst mal platt.

Der Pub ist eine urbritische Institution. Warum wurde er noch nicht von irgendwelchen Trends eingeholt?

Oh, das wurde er längst, Londons gehobenere Gesellschaftsschichten gehen höchstens noch in Gastro-Pubs. Eine normale Eckkneipe außerhalb des Zentrums kämpft in der Regel ums Überleben.

Pub und Gastropub unterscheiden sich im Essensangebot.

Im einfachsten Pub gibt’s nichts außer Chips. Man wird davon zwar nicht satt, doch der Geschmack der Biere ist damit ganz gut zu konterkarieren. In den Gastropubs soll das Essen mitunter phantastisch sein, die Frage ist halt, für was man sich interessiert. Wenn man etwas anderes sucht als das schiere Essen und Trinken, dann gehört ein guter alter Pub noch immer zum Besten, was die Welt derzeit an Kneipen zu bieten hat.