Luxus der Normalität
Luxus der NormalitätGespräch mit Christoph Schröder
Journal Frankfurt 9/08, 18.4.08
Kaviar und Hummer, Käpitäns-Dinner und Tanztee, Bojen-Bemalkurs und Golfsimulator – so oder ähnlich stellt man sich das Leben an Bord eines Kreuzfahrtschiffes vor. Matthias Politycki, der Autor des „Weiberromans“ und des Aufsehen erregenden Kuba-Wälzers „Herr der Hörner“ war eingeladen, ein halbes Jahr als „Schiffschreiber“ das Leben an Bord der MS Europa zu studieren. Das Ergebnis: „In 180 Tagen um die Welt. Das Logbuch des Herrn Johann Gottlieb Fichtl“ (Mare), ein satirischer Roman, der die Leser mit einem täglichen Pointen-Taifun auf hohem Niveau fordert und mit wunderbaren Sprachschöpfungen amüsante Einsichten ins – wohlgemerkt fiktive – Bordleben bietet. Schon während der Reise hatte der Schriftsteller Fichtls Tagebuch ins Internet gestellt, parallel entstand eine CD mit ausgewählten Texten, Originaltönen und Interviews von Bord („Das Schiff“, Kunstmann). Und die Klischees? Sie wurden, sagt er, teils bestätigt, teils revidiert.
SZ: Sie springen von einem Extrem ins andere: Zuerst ein halbes Jahr spirituelle Grenzerfahrungen in den kubanischen Bergen, dann 180 Tage „Traumschiff“. Was war härter?
Politycki: Als ich nach Kuba flog, beneideten mich alle. Als ich auf die Europa ging, bedauerten sie mich: Ach, du Armer! Aber man darf beim Reisen nicht mit festen Erwartungen aufbrechen – die werden immer widerlegt. Ich habe hier wie dort die Extreme erlebt, und ja: Eine solch lange Kreuzfahrt ist nicht weniger hart als das Leben auf Kuba.
SZ: Wussten Sie gleich, wie Sie so eine Reise literarisch verarbeiten könnten?
Politycki: Als ich die Kreuzfahrtkataloge sah, kam mir spontan die Idee „In 180 Tagen um die Welt“ – Jules Verne habe ich als Kind geliebt! Und ich sah diesen Fichtl vor mir, einen kleinen Finanzbeamten, der an Bord einen sagenhaften Aufstieg erlebt. Für die 180 Tage mußte ich dann mit der Reederei nachverhandeln, denn die eigentliche Weltreise dauerte im Jahr darauf nur 157 Tage. Aber ich hatte die Geschichte eben schon so im Kopf.
SZ: War auch die Form schon klar?
Politycki: Ein Freund hatte mich auf die Idee mit dem täglichen Foto gebracht. Als ich die Bilder auf meine Homepage stellte, schrieben mir prompt die User: Und wo bleibt der Text? Fortan mußte ich täglich etwas liefern, im Bestfall eine abgeschlossene Anekdote. Den Roman mußte ich erst noch draus machen – an Land.
SZ: Wieviel ist denn nun wahr und wieviel erfunden?
Politycki: Es ist alles erstunken und erlogen, aber dadurch literarisch, so hoffe ich, umso wahrer. Das war ja mein Vergnügen an diesem Buch, daß ich zwischen Wirklichkeit und Fiktion so unverschämt hin und her jonglieren konnte. Manche wahre Begebenheit wollte mir mein Lektor gar nicht glauben; und umgekehrt bin ich natürlich auch veräppelt worden, zum Beispiel von einem der Kapitäne, der mir, dem 7/8-Münchner, auf seine trockene ostfriesische Art viel erzählen konnte. Bis er irgendwann sagte: Woraus, meinen Sie denn, ist meine Uniform gewebt? Aus Seemannsgarn.
SZ: Sie mussten vermutlich erst die Seemannssprache lernen, um zu wissen, dass man die Lotspeise nicht versalzen kann.
Politycki: Mein Verleger hatte mir zur Reise ein „Maritim Lexikon“ geschenkt – großer Lesestoff! Und je näher man der Mannschaft kommt, desto mehr Begriffe muß man kennen, um deren Geschichten überhaupt zu verstehen.
SZ: Da tauchten dann auch die Kielschweine auf, die in den Pumpensümpfen leben und fürs Bayerische Büffet geschlachtet werden …
Politycki: Die Seemannssprache ist das eine. Aber es gab noch viel mehr zu lernen, allein das Vokabular der Speisekarten ist ja ein Festessen für einen Schriftsteller.
SZ: Gerade in diesem Buch verwischt die Grenze zwischen Wahnsinn und Glück immer mehr.
Politycki: Es war klar, daß der Fichtl einen phantastischen Aufstieg nehmen und sein Glück dann irgendwann jenseits des realen Bordlebens suchen muß. An den Details der Geschichte waren aber viele beteiligt: Freunde und Bekannte, die von zuhause per Mail an Fichtls Logbuch mitwirkten, und natürlich Passagiere und Besatzung auf dem Schiff, die rege Anteil nahmen. Die Reederei hatte nur eine Bedingung: keine Gästeporträts. Deshalb habe ich mein Romanpersonal schon vor Antritt der Reise zusammengestellt.
SZ: Zum Teil mit den Namen von Bekannten: Udo Lindenberg, Franzobel, Nawrath, der Maler.
Politycki: Das war eine zweite Möglichkeit – Leute, die Spaß an der Sache hatten, spielten oft spontan mit, durchaus mit ihrem eignen Namen.
SZ: Im Kuba-Roman ging es unter anderem auch darum, wie man sich das tägliche Brot beschafft; hier ging es eher darum, wie man dem täglichen Hummer ausweicht. Hat Sie dieser Kontrast irritiert?
Politycki: Wir fuhren um Kuba herum und konnten nicht an Land, weil mit den amerikanischen Behörden etwas schief gelaufen war. Hochsaison für alle Art Beschwerdeführer! Aber im Ernst: So ein Schiff ist wie ein Dampfdrucktopf. Die Versuchsanordnung des Menschlich-Allzumenschlichen ist noch enger, der Druck entsprechend höher als im normalen Leben. Mein Menschenbild hat sich im Verlauf der Reise durchaus geschärft, im Guten wie im Schlechten.
SZ: Das ist jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt.
Politycki: Die kleinen Entgleisungen gegenüber dem normalen Höflichkeitskodex sind augenöffnend. Aber genauso überraschend ist die Zurückhaltung derer, die’s wirklich nicht mehr nötig haben.
SZ: Ist diese Art teilnehmender Beobachtung, sich monatelang auf Gedeih und Verderb einer anderen Welt auszusetzen, ihre Auffassung von der Rolle des Schriftstellers?
Politycki: Auf jeden Fall ist das, was ich anstrebe, nicht „Literatur-Literatur“. Das Wichtigste am Schreiben sind mir die Tage, die ich nicht am Schreibtisch verbringe. Andererseits hielte ich es für fatal, wenn man so Stefan-Raab-mäßig auf ein Kreuzfahrtschiff ginge und täglich eine Doppelseite Klamauk produzierte. Deshalb nahm ich mir fest vor: Du gehst auch auf dieses Schiff, um zu staunen, letztlich um zu lernen. Und stellte fest, dass man dort auch ganz azyklisch leben kann – großartig! Es gibt jede Menge Rückzugsmöglichkeiten.
SZ: Zum Beispiel Deck 7.
Politycki: Man könnte dort glauben, auf einem völlig anderen Schiff zu sein. Da findet dich kaum einer.
SZ: 180 Tage Luxus, das hält keiner aus, deshalb sucht vermutlich auch Fichtl immer öfter den „Crew-Only“-Bereich auf, die andere Seite dieser geschlossenen Bordwelt.
Politycki: Manches an dieser Reise hat auf mich einen unwiderstehlichen Sog ausgeübt: das Rauschen des Meeres, die Langsamkeit der Bewegung, die dem Menschen zuträgliche Art der Geschwindigkeit – das ist westliches Zen. Davon sollte auch Fichtl sein Teil bekommen, und um es nach dem Ende der offiziellen Reise nicht zu verlieren, mußte er … naja, tiefer hinab in die Welt des Schiffes.
SZ: Die Ironie begleitet Ihr Schreiben von Anfang an. Ist sie Ihre Art, die Welt zu begreifen?
Politycki: Wahrscheinlich ist es meine Bewältigungsstrategie. Vor Jahren hatte ich mit Robert Gernhardt ein gemeinsames Lesungsprogramm. Er war ein zutiefst melancholischer Mann, gerade auch deshalb so sympathisch. Es ist wohl so: Je ironischer, humorvoller man versucht, die Welt zu begreifen, umso dunkler ist der Urgrund, aus dem das alles kommt. Keiner schreibt freiwillig – ein Gernhardt genausowenig wie ich. Nur der Autor kann seine Stoffe wählen, der Schriftsteller wird von seinen Stoffen gewählt. Vielleicht gelingt es mir im Alter ja auch gelegentlich, Ironie in Humor zu verwandeln.