„Man darf die Sache nicht bierernst angehen“

„Man darf die Sache nicht bierernst angehen“Interview: Anja Wasserbäch

erschienen/erscheint bei:

Stuttgarter Nachrichten, 25/5/11

Entstehungszeitraum: 22/05/2011

Interview (Kompletter Text)

Lieber Matthias Politycki, am 23. April feiern wir nicht nur den Welttag des Buches, sondern auch den Tag des Bieres – strenggenommen den Tag des deutschen Bieres. Er wird seit 1994 von den deutschen Bierbrauern am Jahrestag des Erlasses des bayerischen Reinheitsgebots im Jahr 1516 gefeiert. Dagegen wollen wir nichts sagen, jedoch: Was brachte Sie dazu, ausgerechnet dem englischen Bier ein ganzes Buch, in Versen noch dazu, zu widmen?

Eine Einladung der University of London; im Herbst 2009 war ich für einige Monate als Writer-in-residence am Queen Mary College, mitten im East End. Und wenn man sich, spätestens nach ein, zwei Wochen, nicht mehr als Tourist fühlt, dann geht man eben auch nicht mehr nur ins British Museum; man trifft sich mit diesem und mit jenem – im Pub, wo denn sonst.

Naja, Sie hätten ja auch in irgendein Restaurant oder eine der angesagten Bars gehen können. Aber ausgerechnet in diese –

Genau, in diese uralten Pubs, wo sonst könnte man eine Stadt und ihre Bewohner auf solch beiläufige Weise kennenlernen? Die Szenebars in Soho oder Shoreditch schauen aus wie alle Szenebars der Welt; aber ein stinknormaler Pubcrawl durch Hackney oder Stepney oder Bow führt, wenn schon nicht ins Herz des alten England, wie wir’s uns auf dem Kontinent gern vorstellen möchten, so immerhin in das des alten Londoner East End. Der urenglische Ort schlechthin, der sich trotz aller globalistischen wie touristischen Vereinnahmung der Stadt derzeit noch an jeder fünften Ecke finden läßt, ist nun mal der Pub.

Aber ist man denn dort als deutscher Literat, der zum Beispiel das „Royal London“ als „offensiv malzig, im Abgang nach altem Feudel schmeckend“ bedichtet, ein gerngesehener Gast? Oder bleibt man lieber, möglicherweise auch in Anbetracht der eigenen Gesundheit, stiller Beobachter?

Das Buch hatte ich zu dem Zeitpunkt ja noch nicht geschrieben, es entstand erst sukzessive aufgrund solcher schockierenden Verkostungsergebnisse, gewissermaßen als Tresenmitschrift. Aber in der Tat, die Engländer sind sehr überzeugt von ihrem „real ale“, der Operations Director einer Großbrauerei hat es einmal so zu Protokoll gegeben: „Britain’s cask beer is renowned the world over: it’s the jewel in London’s crown that everyone wants to experience.“ Wenn das keine Steilvorlage ist!

Ich gebe zu: Nach drei Tagen in England mag auch ich dieses lauwarme Getränk. Aber das zum Teil des Nationalstolzes zu küren scheint mir weit hergeholt.

Der ungebrochene Patriotismus – würde er von Deutschen auf diese Weise praktiziert, wir würden dafür einen deutlicheren Begriff verwenden – tritt immer mal wieder in überraschender Direktheit zutage: beim Fachsimpeln über Fußball zum Beispiel, wenn man plötzlich darauf hingewiesen wird, daß England zwei Weltkriege und einen Weltcup gewonnen habe, summa summarum drei Mal, noch Fragen? Und natürlich spielt auch das einheimische Bier, vor allem das echte einheimische Bier alias real ale, in Sachen Nationalstolz keine geringe Rolle. Da gibt es etwa ein Bier mit dem klangvollen Namen „Spitfire“, auf dem Flaschenetikett rühmt es sich augenzwinkernd-selbstbewußt als „The Bottle of Britain“. Klar, daß das für einen Deutschen nach dem „verglühten Blech der abgeschoßnen Stukas“ schmeckt, man kann es ja gar nicht ohne Nebengedanken trinken. Wenn man dann noch auf den Werbeslogan „No Nazi aftertaste“ stößt, geht’s bei einer harmlosen Kneipentour halt vorübergehend auch mal ans Eingemachte.

Das sind deftige Werbesprüche. Schmeckt ein „Spitfire“ denn wenigstens gut?

Von wegen. Aber das war ja gerade der Reiz an der Sache: Was von der Werbeindustrie mit allem Witz und aller Brutalität auch über dieses Bier gesagt wird, hat wenig mit dem tatsächlichen Geschmackserlebnis zu tun: „No Nazi aftertaste“ – gut, aber darf es dann gleich wie verranzter Ziegenbock schmecken? Ein simpler Pubcrawl zeigt viel über die versteckten Strukturen, die in der englischen Ständegesellschaft noch herrschen, zeigt viel über den tiefsitzenden Skeptizismus gegenüber Europa, und man kann – wie so oft in der Literatur – dem ernsten Thema nur durch Humor angemessen begegnen: Wer so austeilt wie ein Engländer, insbesondere beim Unterschichtensport German-bashing, der darf sich nicht wundern, wenn er auch mal was einstecken muß.

Und spätestens hier wird das simple Biertrinken dann literarisch, wird der immerwährende Welttag des Bieres dann automatisch auch zum Welttag der Literatur?

„London für Helden“ will ja zu keinem Zeitpunkt ein Sachbuch sein, erst recht kein halbwegs objektives. Sondern ein Schelmenstück, ein sarkastisch überzeichneter Passionsweg zweier Deutscher mitten im urenglischen Trinkermilieu – Männer auf verlornem Posten, ein Heldenepos in Form der Satire. Ich bin ja kein Bierpapst, sondern Schriftsteller; das Biertrinken selber ist nur Anlaß, um mit den Mitteln der Sprache gegen den englischen Bierpatriotismus zu Felde zu ziehen. Vielleicht war’s einfach mal an der Zeit, daß man sich auch als Deutscher über die Engländer lustig macht, schließlich – und das sei ausdrücklich betont – liebe ich sie ja, abgesehen von ihrer Braukunst.

Gut, dann wäre das geklärt, aber noch einmal zum Text zurück. Was hat Sie an den ja anscheinend eher enttäuschenden Geschmackserlebnissen dann dennoch dermaßen fasziniert, sich diesem Thema gleich in Form eines ganzen Buches zu widmen?

Im Pub ist man beim Trinken ständig von Text umstellt, von den sogenannten „tasting notes“ am Zapfhahn bis zu all den starken Sprüchen, die auf Wänden und Schiefertafeln für die verschiedenen Real Ales werben: „When it’s on, it’s on, when it’s gone, it’s gone“, „It is best served chilled, with your feet up, watching the sun go down“ … Dazwischen aber auch immer wieder ganz konkrete Geschmacksversprechungen: „Two time winner of Beer of Britain. Smooth roasted aromas & delicious sweet flavours“, „An Amber Ale with subtle hints of hops and distinctive malt aromas“ – da werden Zitrusfrüchte, Toffee, Karamel und rote Beeren im Abgang beschworen wie bei der Bordeaux-Verkostung. Und immer klingt es im besten Sinne süffig, diese Art von Bierlyrik schafft eine hochpoetische Ausgangsposition, die sofort zum Selber-Dichten anregt.

Und dann bestellt man, nimmt den ersten Schluck und … ist bitter enttäuscht, daß nach dieser gigantischen Selbstanpreisung ein lauwarmes, labbriges Gesöff kommt, das so schmeckt – ich zitiere aus Ihrem Buch – wie „’ne Art Altbierbowle für Schnabeltassentrinker“ oder wie „aus ’nem alten Elefantenrüssel gezapft“?

Dermaßen vor den Kopf gestoßen wird man in einer Kneipe jedenfalls selten; doch während man noch mit dem Geschmackserlebnis ringt, changiert die Enttäuschung bereits zu einer Art notgedrungenen Interesses: Ein solcher Hiatus zwischen der Sache selbst und ihrem Auftritt im Medium der Sprache, das hat schon wieder was. Und schon ist man mittendrin, kann sich dem Faszinosum des Britenbiers und dem damit verbundenen Marken- und Gläser- und Zapfhahn- und Etikettentamtam nicht entziehen. Es hilft nur eines: tapfer mit dem eigenen Sprachwitz dagegenhalten.

Kommende Woche erscheint mit „London. Signale aus der Weltmaschine“ auch noch ein prächtig bebilderter Sammelband über London, bei dem Sie als Herausgeber fungieren. Der Held ihrer Satire wiederum begibt sich auf „ein heldenhaftes Urbesäufnis für den guten ethnologischen Zweck“. Sie können Engländer-Bashing und eine Hommage an London also gut verbinden.

Eine Satire schreibt man ja nur über etwas, das man liebt – vergeblich liebt, unglücklich liebt, und zwar aus tiefstem Herzen. Enttäuscht bin ich bloß vom englischen Bier; von der Stadt selbst bin ich nach wie vor begeistert, mit all den Einschränkungen natürlich, die man nach einigen Wochen, Monaten dort zwangsläufig machen muß: London, so aufregend hip es auch als Welthauptstadt der Globalisierung ist, so anstrengend, ärgerlich, kraftraubend ist es andererseits im Alltag, dort, wo es schlagartig in tiefste Provinz übergeht. Vielleicht gibt’s ja deshalb in jedem Viertel so wunderbare Pubs: um sich von den Aufregungen und Nötigungen dieser Stadt immer mal wieder erholen zu können. Wer in solchen Räumlichkeiten trinken darf, dem ist jedes Bier recht, selbst das englische: Die Pubs sind willig, doch das Bier ist schwach.

Brendan Behan hat einmal von sich gesagt: „I’m a drinker with a writing-problem.“ Michael Krüger hat schon vor Jahren den Zusammenhang zwischen Alkohol und Lliteratur nachgewiesen; auch in diesem Bücherfrühling gibt es einige Titel zum Thema Trinken. „Der Spiegel“ vermutet dahinter ein letztes Aufbäumen unserer bedrohten abendländischen Alkoholkultur – so wie Bäume, kurz bevor sie sterben, noch einmal besonders viele Früchte tragen. Möchten Sie noch etwas zum Thema Alkohol und Literatur loswerden?

Natürlich formuliert man nach Mitternacht anders als davor; und wenn dabei Alkohol im Spiel ist, kann sich der eine oder andere Versprecher sogar als Bonmot entpuppen. Aber nur, wenn man einen genialen Mittrinker hat und genau zuhört, was er alles en passant an Rachengold erzeugt.

Wenn Sie Lesedurst bekommen haben und nach diesem Interview in Publaune gekommen sind, können Sie sich auch das Hörbuch zu „London für Helden“ Hörbuch (Kunstmann) anhören, gesprochen von Peter Lohmeyer und reichlich mit O-Tönen aus englischen Pubs versetzt. Dazu läßt sich selbst ein Triple Chocolate Stout trinken – cheers! Es gibt übrigens ein nettes Filmchen dazu auf http://www.matthias-politycki.de