„Salon der lebenden Schriftsteller“

„Salon der lebenden Schriftsteller“Interview: Andreas Altmann

erschienen/erscheint bei:

Bayerische Staatszeitung, 17/12/10; Landshuter Zeitung, 17.

Entstehungszeitraum: 10/12/2010

Interview (Kompletter Text)

Matthias Politycki wird Kurator des Münchner Literaturfests im nächsten Jahr. Der 55-jährige Schriftsteller (zuletzt „Jenseitsnovelle“ und „In 180 Tagen um die Welt“) und Lyriker, der in München und Hamburg lebt, wird sich dabei auf vertrautem Terrain bewegen: Er wurde von Walter Müller-Seidel an der Ludwig-Maximilians-Universität in Germanistik promoviert und hat Erfahrung mit Festivals: Fünf Jahre lang organisierte er das „Ohne Titel“-Treffen für Schriftsteller, Lektoren und Kritiker auf Schloss Elmau. Im Gespräch mit der SZ skizzierte er seine Ideen zu dem neuen Literaturfest.

Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit dem Literaturfest?

Die Idee wurde in einem Gespräch mit Reinhard Wittmann, dem Chef des Literaturhauses, schon Anfang 2009 geboren: jedes Jahr einen anderen Schriftsteller als Kurator zu engagieren, der dann seine ganz eigenen Schwerpunkte setzt.

Dann haben Sie sicher schon Ideen für Ihr spezifisches Konzept?

Ich möchte mich auf die deutschsprachige Literatur konzentrieren. Während meiner Zeit als writer-in-residence in London mußte ich immer wieder hören: „We know German literature, it’s boring.“ Da muß man mal gegenhalten: Deutsche Literatur ist vielfältig, kraftvoll, witzig und welthaltig, und das kann man bei dieser Gelegenheit beweisen.

Sie sind gewiß so weit gereist wie Trojanow, der diesjährige Kurator. Warum diese Beschränkung aufs Nationale?

Weil es sich lohnt, die deutsche Literatur in ihrer ganzen Fülle zu präsentieren. Ich möchte eine Bestandsaufnahme wagen, abseits der halbjährlichen Branchenspektakel. Wo stehen wir, welche Themen sind aktuell, gibt es so etwas wie eine zeitgemäße Poetik?

Haben Sie da schon eine thematische Struktur im Kopf?

Die Qualität der Kultur im deutschsprachigen Raum liegt seit eh und je in ihrer dezentralen Vielfalt. Ich stelle mir zum Beispiel einen Themenschwerpunkt vor mit dem Arbeitstitel: „Kleine Weltumrundung auf Deutsch“. Einen weiteren zu „Provinz versus Metropole“ – was unterscheidet einen Münchner von einem Münsteraner oder einem bekennenden Berliner Autor? Zu berücksichtigen wären natürlich auch die Ränder: Migranten, Sprachinseln, die es im deutschsprachigen Raum noch gibt, Ost-West- oder Nord-Süd-Unterschiede.

Den Nord-Süd-Unterschied erleben Sie ja ständig, indem Sie abwechselnd in Hamburg und München leben …

Und den empfinde ich tiefgreifender als den Ost-West-Unterschied!

Haben Sie auch schon formale Vorstellungen?

Ich möchte eine klare Tagesstruktur mit festen Programmpunkten und stelle mir vor, daß die Autoren mehrere Tage mit uns zusammen in der Stadt sind. Dabei soll nicht die schiere Menge der Veranstaltungen oder gar deren Eventcharakter im Vordergrund stehen, sondern schlicht und einfach die Qualität einzelner Schriftsteller und ihrer Bücher. Nicht zuletzt auch die Diskussion darüber und über zeitgenössische Literatur im allgemeinen. Übrigens möchte ich dabei auch Schulen und die Universtität einbeziehen. Unter den Germanisten gibt es wunderbare Gesprächspartner, und Schüler lassen sich nach meiner Erfahrung sehr wohl für Literatur und übrigens auch für Lyrik begeistern. Für die Nächte stelle ich mir einen „Salon der lebenden Schriftsteller“ vor: Dort sollen idealerweise jeden Abend alle Beteiligten, Vortragende wie Zuhörende, zusammenfinden, miteinander trinken und reden. München ist schließlich für seine Geselligkeit bekannt.