Weltwirklichkeit erleiden
Weltwirklichkeit erleidenGespräch mit Michael Weiland
Szene Hamburg, März 2009
Herr Politycki, Ihre Romane wollen auch unterhalten. Hat es deswegen zwanzig Jahre gedauert, bis sie wieder einen Literaturpreis bekommen?
Ich wundere mich ja selbst über das deutsche Preiswesen, vor allem aber freue ich mich jetzt über den Hoferichter-Preis. Für meinen Erstling, einen hochambitionierten, aus heutiger Sicht praktisch unlesbaren Roman Aus Fälle/Zerlegung des Regenbogens habe ich 1987 sogar mehrere Preise bekommen. Wenn man auf eine interessante Weise scheitert, wird man halt eher prämiert.
Joseph von Westphalen beschreibt den Job des Schriftstellers als „Lohnschreiber“.
Man ist nur dann Schriftsteller, wenn man sich – auch – als Dienstleister versteht: wenn man für Leser schreibt und nicht etwa nur für sich selbst. Alles andre ist nicht „genial“, sondern Dilettantismus, mit Arroganz kaschiert. Im übrigen denke ich aber, dass das Wesen der Schriftstellerei weniger mit dem Reflektieren des Zeitgeistes zu tun hat als mit dem Formulieren eines guten Satzes.
Die in den Statuten des Hoferichter-Preises geforderte „Weltoffenheit“ erfüllen Sie beispielhaft.
Naja, ich bin halt so erzogen, daß man möglichst oft über den deutsch-deutschen Tellerrand gucken sollte. Dann aber auch möglichst als Reisender, nicht als Tourist.
Der Unterschied?
Das beginnt schon beim alltäglichen Durchboxen, wenn man beispielsweise in Indien lernt, daß man einen der kleinen Jungs bestechen muss, damit er einem den Platz im Überlandbus erkämpft.
Und Ihre extremste Erfahrung?
In Burundi wäre ich fast an einer Blutvergiftung gestorben, man hat das Bein einfach zugegipst, ein Leben ist dort nicht viel wert. Meine Frau hat es gerade noch hingekriegt, daß ich ausgeflogen wurde; als ich in München ankam, wurde ich schon auf dem Rollfeld von den Johannitern in Empfang genommen. Ich konnte gerade noch fragen, wie die Löwen gespielt hatten, dann war ich wieder bewusstlos. Musste dann Wochen im Krankenhaus bleiben, man hätte mir nach mehreren Notoperationen fast das Bein amputiert, aber ich hatte Glück.
Die Reiselust war danach dennoch ungebrochen?
Ich habe keine Alternative, habe diese Sehnsucht in mir, die mich immer wieder irgendwohin treibt – und wir haben doch nur ein einziges Leben, das ist ja sowieso alles gar nicht zu schaffen. Nicht zuletzt liebe ich den Moment der Heimkehr, dieses Gefühl „Ja, hier und nirgendwo sonst bin ich zu Hause“.
Das Wesen der Sehnsucht ist doch, dass sie unerfüllt bleibt.
Und deshalb hält sie uns ja in Bewegung! Auch wenn sie sich dabei manchmal über uns lustig macht: indem sie uns plötzlich dazu bringt, sagen wir in Rio, daß wir uns nach Schweinsbraten mit Knödel sehnen.
Sie sehnen sich in Rio nach Schweinsbraten?
Das war nur ein Beispiel. Aber ich habe für mein letztes Buch In 180 Tagen um die Welt ein halbes Jahr auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff verbracht, sozusagen zwischen Hummerhälften und Kaviarpokalen. In Puerto Rico bin ich dann so lange geradeaus gegangen, bis ich einen McDonalds fand, da habe ich dann richtig zugeschlagen. Und während ich auf Kuba den Roman Herr der Hörner schrieb, war meine Sehnsucht nach Winter sehr groß.
Und in München nach Hamburg?
Ich genieße den Wechsel, die beiden Städte zusammen sind doch ein Glücksfall. Übrigens gelte ich in Hamburg immer noch als Münchner Autor. Und das bin ich ja auch – vom Biergeschmack bis zum Fußballverein und Humorverständnis. Hinter dem Granteln und dem Bärbeißigen gibt es hier einen abgründigen Humor, der in Hamburg nicht existiert. Dort ist der Witz hingegen schneller und direkter, mit höherer Silbenumschlagsgeschwindigkeit.
Der Bayer braucht länger bis er etwas versteht?
Das will ich damit gar nicht sagen. Wir mäandern und formulieren mehr im Konjunktiv. Das hat ja auch einen gewissen Charme, der im Indikativ flöten geht.
Egal, wie lange Sie unterwegs sind, wenn Sie zurückkommen, ist im Kulturbetrieb alles wie immer: Die Feuilletons sind meist irgendwie mit Walser, Mann oder Grass beschäftigt.
Das zu beurteilen, fehlt mir der Überblick. Aber ganz generell ist es schon erstaunlich, dass sich in der Welt fast niemals das beste durchsetzt, ich habe manchmal das Gefühl, die Menge der Zweitbesten ist dafür verantwortlich. Man kann darüber nur mit den Schultern zucken, es hilft ja nichts, und einfach weiter sein Ding machen.