„Wir brauchen einen neuen Glauben“

„Wir brauchen einen neuen Glauben“Interview mit Gunther Nickel

erschienen/erscheint bei:

Volltext. Zeitung für Literatur. Nr. 4/2005, August/September.

Entstehungszeitraum: 03/08/2005

Interview (Kompletter Text)

AZ: Herr Politycki: „Frauen. Naja. Schwierig“ heisst Ihr Programm, wäre „Lyrik. Naja. Schwierig“ nicht passender?

MATTHIAS POLITYCKI: Eher: Lyriker. Naja. Ziemlich schwierig – das Genre ist ja nicht zuletzt durch die Lyriker selbst so problematisch geworden. Vor allem durch die von verschiedenen Feuilletons hochgepriesenen, nennen wir sie mal Subventionsdichter, mit Preisen bedacht, aber für den normalen Leser unverständlich. Wer nicht zur Insidergruppe gehört, kann durch solche Texte nur verprellt werden.

Sie gehören hingegen zu einem anderen Lager.

MP: Wenn das eine die Fundis sind, dann gehöre ich – wie z.B. auch Gernhardt oder Rühmkorf – zu den Realos: also zu Autoren, die den Leser als gleichberechtigten Gesprächspartner sehen und in einem Gedicht die kürzestmögliche Austauschform zwischen Menschen. Gedichte sollten ja, neben dem reinen Sound, vor allem Erfahrungen vermitteln.

Die Realos kommen allerdings alle aus der humorunfeindlichen Ecke?

MP: Ja, in dieser Hinsicht sind wir explizit unfeindlich. Man darf die Lyrik nicht prinzipiell als esoterisches Geraune und Gemurkel betreiben und den Dichter zum Seher aufbauschen, der vom Welturgrund Abstrusitäten kündet. An solchen Texten rühmt die Kritik gern – weil es an ihnen ja nichts wirklich Handfestes zu begreifen gibt – verstörende „Tiefenbohrungen“ an den Grenzen des Sagbaren. Stellen Sie sich mal vor, dass ein Autoverkäufer Ihnen ein Auto am Rande des Fahrbaren präsentiert. Ausgerechnet bei Literatur soll das Imperfekte ein Ausweis von Güte sein?

Ist das nicht auch besonders deutsch?

MP: Auf jeden Fall. Wir neigen seit je zur Unterwürfigkeit gegenüber dem Unverständlichen, halten das sofort für tief, und solange nur genug Missmut beim Lesen vermittelt wird, liegt der Verdacht nahe, dass man es mit etwas verdammt Genialem zu tun hat.

Warum nun die Gedichte über Frauen?

MP: Die liefern doch seit je eines der Kardinalthemen, die ganze Palette vom grössten Glück übers bitterste Unglück bis zur schrillsten Heiterkeit, der Fundus ist und bleibt unerschöpflich. Und die titelgebende Schwierigkeit ist ja keineswegs negativ gemeint, jedenfalls solange Frauen nicht
Schwierigkeit zu ihrem Markenzeichen machen.

Anthologien humorvoller deutscher Gedichte verzeichnen fast nie Lyrikerinnen. Haben Frauen keinen Humor, oder können Frauen nicht dichten?

MP: Dichten und Humor sind beides Rettungsmassnahmen von Scheiternden, Unglücklichen, Zukurzgekommenen; ein humoristisches Gedicht entsteht nur dann, wenn gar nichts anderes mehr hilft. In solchen Notsituation stecken aber in der Regel die Männer, jedenfalls bis zu einem gewissen Alter. Die meisten Frauen dagegen haben weder das eine noch das andre nötig – Glückwunsch! Literatur ist eben das Siegel der Schwäche; ein Schriftsteller versucht, aus seiner Schwäche eine Stärke zu machen – den Text.

Drei Männer, die über Frauen dichten. Schürt das nicht die weibliche Wut?

MP: Im Gegenteil, da kriegen sie doch mehr Klartext als in jeder Frauenzeitschrift, zumindest einen Schnellkursus in Sachen männlicher Blick, männliche Psyche, männliche, nunja: Begrenztheit. Die bösartigsten Äusserungen über Frauen habe ich immer von Frauen gehört. Beim Männergespräch über Frauen gehören zwar gewisse Klischees zum Standardrepertoire, aber das ist ja auch ganz putzig. Und Klischees helfen schliesslich, die Welt zu ordnen.

Wird Ihr Abend ein lyrisches Thekengespräch?

MP: Wenn Männer miteinander reden, ist die Assoziation Theke immer nah, und nicht die dümmsten Sachen habe ich dort gehört. Es wird aber trotzdem eine Lesung, wenngleich eine, vor der man als Besucher keine Angst zu haben braucht.