Hellmuth Opitz: Honigmond Hotel

Hellmuth Opitz: Honigmond Hotel

erschienen/erscheint bei:

Südwestrundfunk, Matinee, 19/10/03

Entstehungszeitraum: 15/10/2003

Leseprobe

Hellmuth Opitz – Honigmond Hotel

Ich erkannte sie
kaum wieder, so wenig
hatte sie sich verändert.

Sie trug ihr Haar kurz
und schwarz, was ihr der Wind
wütend vorwarf, als sie auf die Straße
trat. Es war später Sommer.

Ich lebte unter falschem Namen
im Glück, einem billigen Hotel
voller Hochzeitsnächte, und rauchte
Kette, um von ihr loszukommen.

Sie aber kam auf mich zu,
ihr Gang ganz aus Honig, ging sie
durch dieses Licht und diese Beatmusik,
ging auf mich zu, durch alle Flitterwochen
ging sie und fragte mich, die brennende Liebe
im Mund: Und was war vor der Zigarette
danach?

Ich wußte nicht weiter. Jetzt
hatte sie mich.

Da gilt die deutsche Gegenwartslyrik seit Jahren als eine Angelegenheit, die nurmehr von Bauchnabelbetrachtern betrieben wird, und dann macht man den neuen Band von Hellmuth Opitz auf – er heißt „Gebrauchte Gedichte“, eine Art Best-of-Sammlung aus früheren Veröffentlichungen – und stößt auf so was: Baff! Welch ein Abgang, so lapidar, so gnaden- und ausweglos, daß man selber für einen Moment nicht mehr weiter wei߅
Aber auch schon der Anfang – mit welch erfrischender Direktheit legt der Autor da los, verglichen mit all denen, die ihre Verse vorzugsweise als „Verwerfungen“ am Rande des Sagbaren konzipieren, als esoterisches Geraunze voller verschwurbelter Chiffren und weltliterarischer Versatzstücke, von Kennern dann gern als „verstörend“ gepriesen und in Wirklichkeit doch nichts als konfus und unverständlich und vollkommen überflüssig: kaum zur Kenntnis genommen, schon vergessen.
Dagegen Opitz, aphoristisch klar und so präzis, daß man als Leser gleich hellwach ist: „Ich erkannte sie / kaum wieder, so wenig / hatte sie sich verändert.“ Baff! Was einen Herrn Keuner erbleichen läßt – in einer der Brechtschen Parabeln wird ihm Ähnliches bescheinigt –, das ist für eine Verflossne im Gegenteil Grund genug, freudig zu erröten: Sieh mal an, da ist bis heute jemand nicht von ihr losgekommen… Und schon geht und geht und geht sie beschwingt auf den Verehrer von einst zu, das will sie jetzt genauer wissen, und vor unsern Augen entsteht sofort eine ganze Geschichte, die freilich umso unklarer wird, je mehr wir darüber erfahren: Verbürgt ist nur, daß da einer seine Flitterwochen verbringt, und unverhofft begegnet er einer Frau, die er am liebsten längst vergessen hätte und nun vor Schreck erst mal kaum wiedererkennen will, und dann… tja, was dann? Offensichtlich hatten die beiden mal eine Geschichte miteinander, und jetzt, im allerunpassendsten Moment, werden sie Opfer eines unerhörten Ereignisses, baff, und diese Geschichte geht plötzlich weiter oder eigentlich von vorne los, so daß der frischgebackne Ehemann – und mit ihm der Leser seines lyrischen Bekenntnisses – gar nicht mehr weiß, ob er noch in den Flitterwochen mit der einen ist, im „Honeymoon“, oder bereits der anderen erlegen und ihrem verführerisch geschmeidigen „Gang ganz aus Honig“: Soll er seine Braut dieser, vermuten wir mal: heißeren Braut wegen gleich wieder verlassen? Oder wird er, noch im „billigen Hotel voller Hochzeitsnächte“, zumindest eine Affäre mit ihr anfangen? anzufangen versuchen? anzufangen sich hüten? Fragen, die über ein ganzes Leben entscheiden, Antworten, die uns das Gedicht schuldig bleibt, weil auch seine Protagonisten sie nicht zu geben wissen: „Und was war vor der Zigarette / danach?“ – ja zum Teufel, was war denn davor, wenn nicht