Aus Fälle/Zerlegung des Regenbogens
Aus Fälle/Zerlegung des RegenbogensEin Entwickelungsroman (12/10/79)
Weismann (Kunstmann), 10/87
http://www.kunstmann.de
1122 Seiten (561 Druckseiten)
ISBN 3-88897-028-8
1.000 numerierte Exemplare
Leinen
Über das Buch
Thema des Romans ist der Roman. Das heißt Thema des Romans ist der König von Thule, also der Kaiser von China. Das heißt Thema des Romans sind die „Farben der Vokale“, derjenigen nämlich aus Worten wie T d, BI“te, Zusamm nhang … Wohin zum Beispiel rutscht das e aus dem (üblicherweise erwarteten Text-)Zusamm nhang? – In den Entwicklungsroman, dessen 13 verschiedene Aus Fälle sich an der stets gleichen Alltagssituation entzünden: „Der Mensch geht aus dem Haus.“ Das heißt genau genommen sind es bloß zwölf Aus-dem-Haus-Fälle, ein Kapitel ist vom Leser erst noch zu schreiben. Das heißt genau genommen: von Ihnen, denn der (herkömmliche) Leser wird im 11. Kapitel ja ermordet, das heißt erm rdet – natürlich mit einem o. Wie das Kapitel übrigens auch, das heißt: Ob dieses selbst oder gar sein Bruder erm rdet wird, der gesamte Roman, das erscheint nach einmaliger Lektüre noch ebenso „undurchsichtig“ wie die Farbe der M rdwaffe: ist sie grün oder papierweiß? Von exakt der Couleur also, wie sie selbst in vorliegende Zeilen beständig hereinfrißt, während Sie ruhig lesen …
… allem Anschein nach einen dezent verwirrenden Text über einen offensichtlich verwirrenden Roman in der Nachfolge Arno Schmidts, insbesondere auch der französischen und deutschen Autoren um die Jahrhundertwende (Mallarmé, Gide, C. Einstein, Benn). Das heißt dessen Grundidee ist eigentlich romantisch („Synästhesie“), sein Aufbau goethisch („Wanderjahre“), sein Konzept nietzscheanisch („Perspektivismus“), der Inhalt kafkaesk … Trotzdem werden 13 bzw. 12 Kurz- bzw. Langgeschichten erzählt – sogar auf doppeltem Boden: demjenigen des Textes und dem des Textes über über den Text; trotzdem treten Figuren auf:
der Mensch, der Autor, das Kapitel, der Leser, Sie usw.; trotz allem wird gehandelt, verhandelt, gesprochen, versprochen und verschwiegen: bis plötzlich sich fügen die verschiedenen Varianten des Romans zu einer einzigen großen Entwickelung, zur phantasievoll angereicherten Stadt, die auf dem Meeresspiegel schwimmt mit all ihren Cafés, Obst- und Eisständen, ihren Armleuchtern, Handlangern und Fingerspitzengefühlen, mit ihren auf arabische und chinesische Assoziationsebene oft hinübergleitenden Handlungsebenen, mit ihren gefährlich weißen Rückseiten, auf die Worte und Sätze, Protagonisten und Fabelführung bisweilen sich zurückziehen bzw. zurückgezogen werden …
Das heißt: Ob sie noch schwimmt oder erneut ins Schwimmen gerät, die Stadt, ist nicht ganz eindeutig, schließlich versinkt sie völlig lautlos bereits im ersten Kapitel. Gerade dadurch aber bietet sie Anlaß zu den blühendsten Phantasien, zu Sprachverbiegung und -artistik, zu philosophischen Seitenblicken und philologischen Seitenhieben, zu –
– insgesamt gesehen einem Buch, das auf den verschiedenen Ebenen gelesen werden kann: als bloße Reihe von thematisch sich in zunehmender Weise verzahnenden Geschichten, als Assoziations- und Dissoziationsraum der unterschiedlichsten Reflexionen, als Literatur über Literatur, als stilistisches und drucktechnisches Experimentierfeld … das heißt: gelesen werden kann und soll; immerhin beabsichtigte der Verfasser, mit seinem „Regenbogen“ einen Text zu schaffen, in den sich auch der gebildete Leser guten Gewissens ein zweites Mal versenken könnte. Hat man die gefürchtete „letzte Seite“ nämlich einmal erreicht, erscheinen alle 561 vorangegangenen in einem neuen Licht … : eine Herausforderung nicht zuletzt für den – pardon:
für Sie.
Pressestimmen
„Das freut die Herrschaften, die mit Jean Paul und Arno Schmidt groß geworden sind und immer von einem raffinierten Text-Leser-Konkubinat träumen (…)“
(Helmut Böttiger, Stuttgarter Zeitung, 10/1/91)
„So präzise, so methodisch und mit einer solchen, geradezu mathematischen Konsequenz – kurzum: so vollkommen – hat noch kaum ein Autor seinen ersten Roman ruiniert. Die ‚Zerlegung des Regenbogens‘ ist eine meisterlich ausgeführte literarische Prozedur! (…) Die Atmosphäre einer entfesselten, alles kontrollierenden, durchrechnenden und dabei sich selbst aufhebenden und jedes Erzählen zerstörenden Rationalität ist daher das erste, das sich dem Leser mitteilt. Unter der Oberfläche dieser an sich schon bewundernswerten, experimentellen Fingerfertigkeiten aber durchzieht den Roman ein ganz und gar poetisches Motiv (…). Umhertappend in diesem bewußt herbeigeführten ‚Wirrgarten willenloser Wortspielerei‘ und angesichts der berserkerhaften Anstrengung, die der Autor sich selbst und uns zugemutet hat, erhalten wir plötzlich eine Ahnung von dem, was uns entgeht, und was das sein könnte: die durch nichts beschnittene Bedeutungsfülle der Sprache, ihre rein erklingende Musikalität, ihre unverstellte Schönheit.“
(Thomas Kempf, Süddeutsche Zeitung, 17/2/88)
„eine der merkwürdigsten Erscheinungen moderner Literaturproduktion (…) Politycki hat, wenn nicht alles täuscht, mit seinem Roman nicht nur die Eigenwilligkeit von James Joyce und Arno Schmidt, sondern auch die Phantasmagorien der gesamten Romantik in den Schatten gestellt.“
(Erich Pawlu, Donau-Zeitung, 4/10/89)
„ein unterhaltsames, ein vergnügliches Buch, keineswegs trockene ‚Germanisten-Prosa‘ (…): Wir haben es mit dem Werk nicht eines ‚Erzählers‘, sondern eines ‚Wortweltenerbauers‘ zu tun.“
(Ralf Sziegoleit, Frankenpost, 24/3/88)
„ein multipler Roman (…), ein überaus helles, ja vielleicht zu helles Buch (…), sich immer wieder selbst aufbauend und zerlegend, permutierend und kommutierend“
(Christoph Bartmann, Der Falter Nr.8/88, 26/2/88)
„Beim Lesen fällt sofort die ungeheure Musikalität der Sprache auf.“
(Uwe Dolderer, Schwäbische Zeitung, 22+23/10/88)
„Der Roman ist schrecklich avantgardistisch und superintellektuell; er soll ein Sprachspiel darstellen. Der Rezensent hätte gern mitgespielt, aber man hat ihm die Regeln nicht verraten; deshalb ist er jetzt böse und lehnt dieses Buch ab.“
(Klaus Falge, ekz-Informationsdienst, Nr.16/88)
„Mehr Kafka als Krimi (…) ein überdimensioniertes Prosagedicht, ein Wahnsinns-Projekt“
(Eva Strasser, Wiener, Nr.7/88)
„Vielleicht die einzige Form, wie man heute noch einen Roman schreiben kann (…)“
(Joachim Gaertner, Süddeutscher Rundfunk, 5/4/88)
„Polityckis Problem (…): Er kann zu viel, und dieses Können erdrückt nicht nur den Leser, sondern auch das Werk.“
(Friedhelm Rathjen, DIE ZEIT, 22/4/88)
„Schreiben jedenfalls kann er – so viel dürfte (…) feststehen.“
(Joachim Gaertner, Radio Bremen, 6/4/88)
„wirkt erfrischend auf denjenigen, der sich (…) die Muße nimmt, sich auf die Sprache dieses Buches einzulassen. Sie bläst einem den Kopf frei, sie macht sensibel für die alltägliche Vergewaltigung der deutschen Sprache in sämtlichen Medien. Sie läßt erahnen, welche Möglichkeiten Sprache überhaupt hat …“
(Günther Fischer, Münchner Stadtzeitung, Nr. 10/88, 6-19/5/88)
„eine irritierende Welt aus Sprachtönungen und –tönen, die sich nie absolut nimmt“
(Uta-Maria Heim, Stuttgarter Zeitung, 5/4/88)
„Altes Erbe, von Sterne bis Jean Paul und anderen wird hier aufgegriffen und verarbeitet, so wie der ganze Roman die Tradition durchaus nicht verleugnet, sondern erweitert. Wenn das nicht die nobelste Aufgabe von Literatur (…) ist? ‚Aus Fälle‘ wird seinen Weg machen.“
(Helmut Martin, Süddeutsche Zeitung, 26/11/87)
„Was derartig durchkonstruiert und theoretisch fundiert sich präsentiert, ist jedoch keineswegs langweilig, sondern steckt voller Witz und (Selbst-)Ironie.“
(M.K., Hannoversche Allgemeine Zeitung, 17/11/87)
„ein Anschlag auf alle Lesegewohnheiten (…) Ich kenne keinen Roman, der sich so konsequent seinem Eigenleben verschrieben hat, und nach anfänglicher Skepsis (…) kann ich inzwischen nur noch von wachsender Achtung, ja Bewunderung berichten: Prosa absolut auf der Höhe der Zeit, ein Meisterwerk der meta-verspielten Postmoderne.“
(Herbert Kapfer, Bayerischer Rundfunk/Kultur aktuell, 23/10/87)
„ein Brocken (…), ein überdimensioniertes Prosagedicht (…), eine Gebrauchsanleitung des Germanisten Politycki für den zukünftigen Romancier Politycki.“
(Florian Felix Weyh, Deutschlandfunk/Bücher im Gespräch, 27/3/88)
„Vergleiche zu großen experimentellen Werken der Weltliteratur scheinen in diesem Fall nicht zu hoch gegriffen zu sein, ‚Tristram Shandy‘ kommt einem in den Sinn, ‚Gravity’s Rainbow‘ und ‚Finnegans Wake‘ von James Joyce.“
(Münchner Merkur, 26/11/87)
„ein Lese-Experiment, das den Text selbst zum Thema macht und dennoch viel mehr ist als nur eine intellektuelle Spielerei“
(Ulrich Knoche, Lübecker Nachrichten, 13/11/87)
„zeigt, was mit deutscher Sprache nach und ohne Arno Schmidt noch möglich ist“
(Karl Bruckmaier, Süddeutsche Zeitung, 3/12/87)
„gratuliere (…) zur unüberschaubar gewordenen Fülle gelungenen Wortwitzes. (…) Ist die Bedeutung der ‚Aus Fälle‘ vielleicht vergleichbar (…) mit Oswald Wieners ‚Verbesserung von Mitteleuropa‘?“
(Herbert Kapfer, Bayerischer Rundfunk/Zündfunk, 25/10/87)
„ein Sommernachtstraum der Sprache (…): Arno Schmidt schrieb Zettels Traum und er verzettelte sich für meine Begriffe restlos in diesem Vorhaben. Matthias Politycki hingegen, so meine ich, ist gelungen, was Arno Schmidt nicht gelang: nämlich die Wiederherstellung von Sprache durch deren poetische Verwirrung.“
(Heinz Friedrich, anläßlich der Verleihung des Civitas-Preises, 10/7/87)
„ein Roman, der mit Sprache jongliert wie Rastelli mit Bällen und Keulen“
(Hartmut Panskus, Börsenblatt, 4/8/87)
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