Schönheit hat immer recht

Schönheit hat immer rechtWie sich das Tadsch Mahal gegen Müll und Touristen behauptet

erschienen/erscheint bei:

Die Zeit, 12.4.2017.

Entstehungszeitraum: 22/12/2016 - 01/04/2017

Leseprobe

Als ich das Tadsch Mahal im April 2007 zum ersten Mal sah, wußte ich so gut wie nichts von seiner Bau- noch von der Liebesgeschichte, die es erzählt, ich sah nur einfach hin. Der Traum, den ich seit meiner Kindheit geträumt hatte, war in Erfüllung gegangen: Das weitläufige Geviert des Gartens, dessen Ende das berühmte Mausoleum mit seinen Kuppeln und Minaretten märchenhaft markiert, lag so selbstverständlich vor mir wie einst, da ich es als Puzzlebild wieder und wieder aufgebaut hatte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn es sich vor meinen Augen in den Himmel emporgehoben hätte. Ich hatte nur zwei Stunden Zeit und verspürte alles andre als interesseloses Wohlgefallen; jedes seiner Blumenornamente wollte ich berühren, über jede seiner Marmorplatten streichen, um mich ihrer zu versichern. Auf der Rückreise glaubte ich tatsächlich, nichts Geringeres als das schönste Gebäude der Welt gesehen zu haben.
Als ich zehn Jahre später erneut aufbreche, frage ich mich, ob ich damals nicht etwas übertrieben habe. Noch in Deutschland zettle ich mit jedem, den ich treffe, ein Gespräch über das Tadsch Mahal an, und obwohl es die wenigsten aus eigener Anschauung kennen, hat jeder sofort ein Leuchten in den Augen: Es sei ein heiliger Ort, trotz aller Touristen. In seiner Vollendung habe es sich vom menschlichen Schaffensakt gelöst. Allein schon sein Name sei ein Gedicht, ein Gedicht auf die Liebe. Was so vollkommen symmetrisch sei, habe immer recht.
Diesmal habe ich einiges über das Tadsch Mahal gelesen, habe mir Zeit genommen und einen Begleiter obendrein: meinen indischen Freund Sanjay. Er möchte von Delhi aus eine Schleife durch Rajasthan fahren, um mir einige architektonische Vorläufer des Tadsch zu zeigen und mich auf die indoislamische Baukunst einzustimmen.
Eine Woche später kommen wir in Agra an. Mein Kopf ist voller neuer Eindrücke und Erkenntnisse, jetzt weiß ich, wo man ein Mausoleum zum ersten Mal mit einer Zentralkuppel gekrönt hat, weiß, wer als erster die vier Ecken eines Grabbaus mit Minaretten markierte, weiß, welche Gärten für den des Tadsch Mahal Vorbild waren, ich könnte sogar etwas zu den Marmormustern sagen, mit denen die Rabatten seiner Zypressenallee geschmückt sind. Doch als ich das Tadsch von meinem Hotelzimmer aus im Abenddämmer erblicke […]

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