Schräglage zur Welt

Schräglage zur WeltWas bringt den Schriftsteller zum Schreiben?

erschienen/erscheint bei:

NZZ, 15/12/12.

Entstehungszeitraum: 22/05/2012 - 24/09/2012

Leseprobe

Freiwillig habe ich nicht angefangen zu schreiben. Sondern weil nichts anderes mehr half. Ich war sechzehn, siebzehn Jahre alt und verliebt in ein Mädchen, in das auch jeder andere weit und breit verliebt war – keine sonderlich originelle Konstellation. Bis auf die Tatsache, daß sich einige von uns regelmäßig abends im Wald trafen, um dort gemeinsam ihren romantischen Gefühlen nachzugehen. Die eine oder andere Rotweinflasche, den väterlichen Beständen entwendet, wurde geleert, ansonsten lagerten wir und lauschten dem Knacken des Waldes. Im Fortgang der Nacht dann den Gedichten und Prosaskizzen, die der eine oder andere in seiner Not zu Papier gebracht hatte. Verläßlich löste uns erst das die Zunge, der Rest der Nacht ein anhaltendes Gespräch. So dilettantisch unsre Texte auch sein mochten, da und dort öffneten sie sich zu etwas Grundsätzlichem, bei dem man spontan einhaken und sich selbst wiederfinden konnte. Oder gerade auch nicht, beides galt es auszudiskutieren. Wenn wir, nicht selten erst zum Morgengrauen, in unsre Elternhäuser zurückschlichen, hatte sich an unserer aussichtslosen Lage zwar kein bißchen geändert, nichtsdestoweniger hatten wir uns tüchtig Luft gemacht und fühlten uns bis auf weiteres großartig.
Club der lebenden Möchtegerndichter. Bei mir kam freilich bald eine Bedrückung dazu – die merkwürdig zwanghafte Verpflichtung, Schriftsteller zu werden. Die allenfalls auf eine Pflicht mir selbst gegenüber hinauslaufen konnte. Aber so weit dachte ich damals gar nicht, es war die Zeit der großen Gefühle, auch das diffuse Ahnen einer Aufgabe war nichts weiter als ein Gefühl. Leider keines, das mich – wie die Texte an sich, die ich damals schrieb – beflügelte. Eigentlich hatte ich Schlagzeuger werden wollen. Es war klar, daß ein Leben als Schriftsteller kaum halb so lustig werden konnte. Warum sollte das denn mit einem Mal beschlossene Sache sein?
De facto konnte ich als unglücklich verliebter Sechzehnjähriger vor lauter Pathoshuberei keinen einzigen geraden Satz schreiben, es war stark übertrieben, sich bereits als Schriftsteller zu fühlen und darunter auch gleich noch zu leiden (…)