Am Anfang vom Ende der Schweizer Literatur

Am Anfang vom Ende der Schweizer LiteraturKleiner Nachruf zu Lebzeiten

erschienen/erscheint bei:

Aargauer Zeitung, 19/5/01

Entstehungszeitraum: 31/01/2001 - 03/02/2001

Weitere Formate und Veröffentlichungen


Wiederabdr. in: Eiswasser, Nr.1/01

Über das Buch

„Die Schweiz ist überflüssig“, pflegte mich eine Freundin vor Jahren zu belehren, eine Schweizer Freundin, die sich nach München abgesetzt hatte; wenn sie sich dann doch mal eine Zugverbindung Richtung Heimat angetan und dabei festgestellt hatte, daß diese reichlich kompliziert ausfiel und jedenfalls erklecklich Zeit in Anspruch nahm, dann ergänzte sie schulterzuckend: „Da fahren selbst Züge nur ungern hin.“
Was mich damals arg verwunderte, erscheint mir mittlerweile als Nomalfall: Wohin auch immer ich in der deutschsprachigen Schweiz komme, frönt man einem zumindest wohldosierten Selbstzweifel, einem anlaßlos zweckfreien Infragestellen der eignen Identität, das beispielsweise einem 7/8-Münchner wie mir nie in den Sinn käme. Warum?
Hüten werd‘ ich mich, der Frage auf den Grund zu gehen, schließlich steht mir das als Deutscher gar nicht zu. Erlaubt muß freilich sein, die Schweizer Selbstbezichtigung ernst zu nehmen und, sozusagen #totum pro parte#, auf die Schweizer Literatur anzuwenden: Ist vielleicht wenigstens die Schweizer Literatur überflüssig? Nicht deren einzelne Vertreter, versteht sich, nicht deren einzelne Publikationen, versteht sich, sondern die Ordnungskategorie, die schon immer ein wenig willkürlich wirkte, jedenfalls von Deutschland aus (wo man Schweizer Literatur ja auch gern als „deutsche“, zumindest „deutschsprachige“ vereinnahmt). Ja, um‘s gleich ein wenig überspitzt zu formulieren, stehen wir nicht spätestens jetzt, da unter der Tarnvokabel „Globalisierung“ einer Re-Kolonialisierung der Alten durch die Neue Welt das Wort geredet wird, da nahezu sämtliche Nationalkulturen mit Wucht von der amerikanischen „Leitkultur“ (denn nur diese kann den Terminus derzeit mit Recht beanspruchen) durchgebürstet oder eigentlich hinweggefegt werden, stehen wir nicht spätestens jetzt am Anfang vom Ende alles originär Schweizerischen? (…)