Europäische Ästhetik
Europäische Ästhetik
u.d.T. Ein Feld für unamerikanische Umtriebe in: Süddeutsche Zeitung, 17/12/98; enth. in: Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft
Europäische Ästhetik? Gott bewahre, auch das noch: Don DeLillo ante portas, Umstellung auf Euro-Ästhetik zum 1.1.99
Die Frage, wie Europa erzählt und ob es anders erzählt, liegt mir schon lange am Herzen, im nächsten Jahr wird sich das ganze Programm darum drehen. (U. Keller, Leiterin des Hamburger Literaturhauses)
Warum haben die Deutschen denn immer solche Probleme mit sich selber, warum dürfen die nicht einfach ne neue deutsche Ästhetik entwerfen? (A. Isenschmid, Feuilletonchef)
Ich glaube, daß eine europäische Literarästhetik unterschwellig schon recht weit gediehen ist
immer mit dem Ziel, die hypermodernen Strukturen der Vergangenheit abzustreifen. (R. Moritz, Verlagsleiter)
Gesetzt, so was gäbes (aber das glaube ich nicht), dann hoffentlich als skandinavische, am liebsten als norwegische oder schwedische Ästhetik. (M. Braun, Literaturkritiker)
Lassen Sie das, schreiben Sie lieber Ihren neuen Roman, das können Sie besser. (R. Baumgart, Germanistikprofessor)
Machen Sie, machen Sie! (S. Cramer, Literaturkritikerin)
Ach, Europa. Aber was eigentlich soll ich denn machen, was besser lassen? Daß es eine typisch europäische Form, daß es einen typisch europäischen Stil – Bücherfestung Europa – geben könnte, wird ja doch wohl bei der Vielfalt an europäischer Grammatik, der Vielfalt an Sprech-, Seh-, Hör- und Denkmustern nicht zu erwarten sein?
Wirklich nicht? Woher kommt es dann, daß ich Lola rennt – nach rossinihaft peinigenden Jahren voller angeblich deutscher Komödie und offensichtlicher Anbiederung ans Hollywoodmäßige (von der Unendlichen Geschichte bis Independence Day) -, woher kommts, daß ich Tom Tykwers Überraschungserfolg nicht so sehr als eine ##deutsche##, denn als eine ##europäische## Antwort auf die transatlantischen Vorgaben gesehen habe? Mit großer Begeisterung gesehen habe, ja mit Stolz: Als hätte mir bereits dieser eine Film die Würde des Kinobesuchers wiedergegeben, indem er mich weder mit deutschen Autorenfilm-Konzepten belästigte noch mit kalifornischer Einwegware beleidigte, ##weder## mit verdruckster E-, ##noch## mit enthemmter U-Technik, sondern mit ihrer EU-Mischung beglückte. Als hätte mir dieser eine Film bereits bewiesen, daß wir – und gemeint ist eben nicht nur Deutschland, sondern (mindestens) Gesamteuropa – nicht bereits vollständig kolonialisiert sind (
)