An Interview with Matthias Politycki, Modern German Romantic

An Interview with Matthias Politycki, Modern German RomanticInterview: Lucy Popescu

erschienen/erscheint bei:

Words without Borders, http://wordswithoutborders.org, 8/10/10

Entstehungszeitraum: 07/10/2010

Interview (Kompletter Text)

Herr Politycki, Sie behaupten, daß jeder Schriftsteller einen Standpunkt habe, der sich „in der Wahl seiner Adjektive ebenso ausdrückt wie in der Wahl seines Lieblingsitalieners“. Was ist denn Ihr Standpunkt?

Daß die Welt ein Irrtum wäre, wenn es darin nicht Schönheit – auch und gerade eine durch Kultur vermittelte – gäbe. Ich unterscheide allerdings zwischen Autoren und Schriftstellern. Ein Autor ist für mich jemand, der Bücher schreibt. Ein Schriftsteller ist mehr als die Summe seiner Bücher, er arbeitet sich ein Leben lang an seiner Aufgabe ab, meist vergeblich; dadurch gewinnt er freilich an Authentizität.

Das klingt ziemlich altmodisch.

Das darf es auch. Erst wenn wir die Tradition kennen, können wir einigermaßen beherzt nach vorne schreiben, ins literarische Neuland; ohne unsre Vorgänger würden wir ja immer wieder bei Null anfangen. Kommt halt drauf an, welche Traditionslinie wir als unsre eigene entdecken.

In welcher Linie sehen Sie sich?

Das wechselt mit den Jahren. Lange hat mich Nabokov regelrecht beflügelt, seit ein, zwei Jahren tut es Hemingway. Zumindest ist er das Original, auf das viele Fälschungen folgten. Einer, der wirklich was zu erzählen hatte. Und dazu auch einen eigenen Sound. Als ich ihn las, hatte ich zum ersten Mal selber den Wunsch zur Verknappung.

Sie haben zum Teil opulente Romane wie „Herr der Hörner“ geschrieben. Ihre „Jenseitsnovelle“, für die Sie den Preis der LiteraTour Nord erhalten, ist überraschend schmal. Ist das der Hemingway-Einfluß?

Um das Buch hätte ich mich gern gedrückt, zumindest hätte ich es noch eine Weile auf die lange Bank geschoben. Bis ich zu der Überzeugung kam, daß sich ein guter Text auch durch all das auszeichnet, was darin nicht explizit gesagt wird. Weglassen ist keine geringe Kunst, und an Hemingway kann man sie studieren.

Sie gelten seit Ihrem „Weiberroman“ und „Ein Mann von vierzig Jahren“ als ironischer, humorvoller Autor. Jetzt kommen Sie mit einer Novelle über ein altes Ehepaar, den Tod der Frau und den Rückblick auf eine mäßige Ehe, in der beide Partner betrogen haben. Sind Sie in der Midlife-Krise?

Ach, der Tod ist doch schon immer mein Thema, die Vergänglichkeit, ich bin ja Restromantiker. Überdies sind in den vergangenen Jahren mehrere Menschen gestorben, die mir viel bedeutet haben, nicht zuletzt Robert Gernhardt und Peter Rühmkorf. Aber mit dem Humor und der Ironie ist das so eine Sache. Auf schlechtgelaunte Weise tiefsinnig sein, kann jeder; die Ehre von uns Melancholikern besteht ja gerade darin, daß wir den Leser auf heitere Weise an unserem Kummer teilhaben lassen. Bekanntlich schreiben die traurigsten Menschen oft die witzigsten Romane oder Gedichte. Auch wenn der deutschen Literatur nach wie vor nachgesagt wird, daß sie humorlos sei.

Für die jungen Autoren gilt das nicht unbedingt, die erzählen doch sehr munter und witzig.

Naja, ich bin zwar kein Adorno-Adept, für den die Literatur erst am Rande des Sagbaren so richtig spannend wird; aber der betonten Flapsigkeit vieler junger Literaten kann ich auch nicht viel abgewinnen.

Ist es nicht ein Fortschritt, daß die junge deutsche Literatur erzählt und nicht nur überambitionierte Sprachspielereien versucht?

Durchaus. Doch der echte Humor entsteht nur aus einem tiefen Ernst, man braucht dazu auch eine gewisse Lebenserfahrung. Um das noch mal klarzustellen: Ich mag, siehe Hemingway, gut erzählte Geschichten. Ein Schriftsteller ist seinem Leser schließlich zunächst mal schuldig, daß er ihn mit seinen Texten unterhält. Und nicht etwa langweilt oder gar quält.

Eine Pflicht zur Unterhaltung – das hören die meisten Ihrer Kollegen bestimmt nicht so gerne?

Geniekult allein macht noch keinen großen Schriftsteller, im Gegenteil. Ich verdanke meinen Lesern viel, insofern empfinde ich es durchaus als ehrenwert, ihnen mit meinen Büchern Vergnügen zu bereiten. „Vergnügen“ nämlich im Sinne Schillers, damit haben die Platitüden sogenannter Komiker nichts zu tun. Ein Schriftsteller ist, mal pointiert zugespitzt, immer auch Dienstleister am Leser. Immer. Auch.

Ihr nächstes Buch heißt „London für Helden. The Ale Trail – Expedition ins Bierreich“. Das verdankt sich den Dienstleistern in englischen Kneipen?

Wo sonst kann man das Wesen einer Stadt wie London so hautnah erspüren als in seinen Pubs? Dort, nur dort steht man mit den Einheimischen am selben Tresen, fast schon mittendrin in ihren Geschichten. Allerdings ist „London für Helden“ weder Reiseführer noch Bierratgeber, sondern ein langes Gedicht. Ich bin – auch wenn ich in verschiedenen Genres veröffentliche – im Herzen nun mal Lyriker.

Sie sind ein Autor, der viel reist. Sind Sie gern unter Menschen?

Von Literatur, die ausschließlich am Schreibtisch entsteht, halte ich nicht so viel. Bin, auch von Berufs wegen, lieber unter Leuten und höre genau hin, sammle Sätze, Figuren, Eindrücke. Auch eine Schlüsselszene aus der „Jenseitsnovelle“ habe ich so beobachtet – vor 20 Jahren in einer Münchener Kneipe.

Dauert das immer so lange, bis aus einer Beobachtung Literatur wird?

Zum Glück nicht; eines meiner Romanprojekte, „Samarkand Samarkand“, trage ich allerdings schon über 20 Jahre mit mir herum. Nun will ich es endlich wissen, ich kann mich ja nicht auch den Rest meines Lebens davor verstecken – in ein paar Tagen fahre ich wieder nach Usbekistan, zur Recherche. Das Buch wird, schon allein dadurch, daß es hoffentlich irgendwann tatsächlich geschrieben wurde, mein wichtigstes werden, was auch immer Kritiker und Leser dann dazu sagen.