„Der Tag der Heimkehr ist der wichtigste“

„Der Tag der Heimkehr ist der wichtigste“Interview: Marie Lührs

erschienen/erscheint bei:

Weser-Kurier, 26.4.2017.

Entstehungszeitraum: 25/04/2017

Interview (Kompletter Text)

Herr Politycki, Reisen ist in den vergangenen Jahren zu einer Art Volkssport geworden. Im Internet wimmelt es von Angeboten und Tips. Auch Ihr Buch handelt vom Reisen, will aber ausdrücklich kein Reiseführer sein. Warum eigentlich nicht?

Reiseführer sind wichtig für die Vorbereitung, doch das Entscheidende muß jeder auf eigne Faust erleben: Momente des Staunens und der Begegnung, die den Wert einer Reise erst ausmachen. Mein Buch geht eher grundsätzlichen Überlegungen nach: Warum reisen wir, was erhoffen wir uns davon, wie verändern wir uns dabei? All diese Fragen versuche ich, anhand persönlicher Reiseanekdoten zu beantworten.

Sie sind ihr Leben lang gereist, haben mit 61 Jahren bereits 97 Länder besucht. Was trieb Sie in die Ferne?

Die Lust auf Abenteuer und überhaupt auf alles, was es zu Hause nicht gab. Vor allem aber die Neugier auf andre Kulturen; Reisen war für meine Generation immer auch Ausdruck einer Weltanschauung: Mit unsrer programmatischen Offenheit wollten wir tatsächlich zu einer besseren Welt beitragen. Leider hat sich die Welt seit der Jahrtausendwende nicht zum Besseren entwickelt. Die Fremde empfängt uns nicht mehr mit offenen Armen, und wir selbst reisen auch nicht mehr einfach los, sondern studieren zuvor die Sicherheitswarnungen des Auswärtigen Amtes. Das sagt eigentlich alles.

Das überrascht. Immerhin ist die Welt seitdem weiter zusammengewachsen, ist das Reisen für viele Menschen deutlich einfacher geworden.

Meiner Erfahrung nach driftet die Welt schon seit einiger Zeit wieder auseinander. Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 hat das Reisen auch eine schreckliche Dimension bekommen. Dazu kommen die zahlreichen regionalen Kriege und die dahinterstehende Konfrontation der Kulturen, viele afrikanische und arabische Touristenländer von einst haben sich in Hochburgen des Terrorismus verwandelt. Die Unschuld des Reisens ist jedenfalls dahin.

Doch auch die Reisebranche selbst hat sich im 21. Jahrhundert gewandelt, ist professioneller geworden. Sie schreiben, daß heutige Backpacker „ein von der Globalisierung gezähmtes Völkchen sind“. War früher alles besser?

Vor dem Siegeszug der Digitalisierung war die Fremde zu weiten Teilen wirklich noch fremd. Die Reiseliteratur konzentrierte sich auf das, was zu besichtigen war; tatsächlich wurden wir aber vom Alltag in der Fremde weit mehr gefordert und beeindruckt als von ihren Sehenswürdigkeiten. Selbst wenn wir unterwegs immer wieder Fehler machten und herbe Rückschläge hinnehmen mußten, wir fühlten uns großartig. Reisen war für uns das Synonym für Freiheit schlechthin.

Und heute …

… gehen Reisende dank Google Maps ganz selbstverständlich und zielstrebig überallhin und tauschen nebenbei Fotos mit Freunden aus. Sie sind der Fremde nie richtig ausgesetzt.

Reisen auch Sie nun anders?

Zwangsläufig. Letztes Jahr machte ich den Versuch, in Indien so zu reisen wie früher, einfach drauflos. Das geht aber nicht mal mehr dort. Man kommt in die Hotels gar nicht erst rein, wenn man nicht im Internet zuvor ein Zimmer gebucht hat.

Lohnt es sich für Sie dann überhaupt noch zu reisen?

Es lohnt immer! Neugier und Staunen sind es, die mich in Bewegung halten – und am Schreiben übrigens auch. Zwar ist die Exotik der Fremde mittlerweile arg reduziert, aber den Alltag der Fremde gibt es nach wie vor, darin kann man sich selber neu erfahren wie eh und je.

Wir Deutsche reisen gerne. Wir gelten mancherorts sogar als Reiseweltmeister. Was sagt das über uns aus?

Reisen war für uns ein Weg, nach dem dunklen Kapitel der Nazizeit eine neue Identität zu finden und allen anderen zu zeigen, daß sich die „neuen Deutschen“ weltoffen und tolerant verstanden, als bekennende Europäer. Reisen war für uns immer auch Teil der Wiedergutmachung, ein ehrenvolles Projekt! Allerdings waren wir oft über Gebühr bereit, im Ausland alles, wirklich alles gut zu finden und zu „verstehen“, selbst wenn es unseren Werten und Prinzipien zuwiderlief. Das sehe ich mittlerweile auch kritisch.

Warum?

Gerade bei weltanschaulichen Debatten in islamischen Ländern sollten wir für unsere Werte eintreten. Wie oft mußte ich mir im arabischen Raum anhören, daß der Islam die einzig wahre Religion sei! Was ist das anderes als ein religiös verbrämtes Bekenntnis zur Intoleranz? Obwohl ich kein überzeugter Christ bin, habe ich das Christentum in solchen Debatten stets verteidigt. Wir sollten nicht für alles Verständnis aufbringen, was in der Fremde gedacht, geglaubt und getan wird. Sondern auch mal auf Konfrontation gehen und unsere weltanschauliche Toleranz auf intolerante Weise verteidigen.

In Ihrem Buch prahlt ein Reisender, er habe in nur einem Jahr alle sieben Kontinente bereist – und das, obwohl er vollzeitig berufstätig gewesen sei. Auch Ihnen fehlen nur noch drei Länder zur 100er-Marke.

Tatsächlich könnte ich die Marke noch dieses Jahr knacken; im Sommer komme ich mit Kambodscha, Laos und Vietnam in drei Länder, in denen ich noch nicht war. Aber ich bin nie ein Länderabhaker gewesen, im Gegenteil, in manche Länder wie Kuba, Japan oder Usbekistan bin ich wieder und wieder gereist. Und habe noch immer das Gefühl, dort gerade mal ein bißchen hinter die Kulissen geguckt zu haben.