„Hoffnung durch Realitätsschock“

„Hoffnung durch Realitätsschock“Gespräch mit Markus Bundi

erschienen/erscheint bei:

Wiener Zeitung, 16./17.4.2022; zum Interview
Entstehungszeitraum: 02/03/2022 - 08/03/2022

Interview

Sie haben sich vor knapp einem Jahr von der norddeutschen Nüchternheit in Hamburg verabschiedet, um sich fortan dem Wiener Schmäh auszusetzen. Wie groß war der Schock? Wie nachhaltig ist die Freude?

Das Maß war im Norden für mich voll, als man mir in einem Newsletter von der Rückkehr der „Störchinnen und Störche“ aus dem Winterquartier berichtete. Als ich in Wien ankam, mußte ich feststellen, daß man hier – jedenfalls in den Broschüren der Stadt für ihre Mitarbeiter – die Schafe auf der Donauinsel als „tierische MitarbeiterInnen“ gendert. Dennoch, die Freude hielt an, den Wiener Schmäh habe ich schon während meiner Studienzeit in Wien geliebt.

Vor bald vierzig Jahren wurde Lucky Luke das Rauchen abgewöhnt. Seither hat er einen Strohhalm im Mund. War das der Anfang von dem, was heute „Wokeness“ meint? Das Ende der Unschuld?

Schon die Kampagnen gegen das Rauchen sind tüchtig übers Ziel hinausgeschossen, spätestens dann, wenn man dem Zeitgeist zuliebe die Kunst in die Pflicht genommen hat. Freilich forderte damals ein erheblicher Teil der Bevölkerung ein Umdenken, während es heutzutage nur eine Minderheit ist, die uns ihre Weltsicht aufnötigen will. Wenn es dabei um Tabuisierung einzelner Wörter, um politisch korrekte Umbenennung von Gemälden oder Verbannung gewisser Autoren aus dem abendländischen Kanon geht, geht es in Wirklichkeit immer auch um unsre Freiheit: die Freiheit der Sprache, die Freiheit der Kunst und nicht zuletzt auch die Gedankenfreiheit.

Der Philosoph Hans-Georg Gadamer koppelte das Verstehen von Sprache direkt an ihre Wirkungsgeschichte. Eine nachträgliche Korrektur von klassischen Texten möchte nun diese Wirkung ungeschehen machen, die Geschichte umschreiben – oder abschreiben? Welche Verluste befürchten Sie?

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