„In der Südsee ist es nun mal anders als in Miesbach“

„In der Südsee ist es nun mal anders als in Miesbach“Interview: Robert Treichler

erschienen/erscheint bei:

profil Nr.29, 14/7/19.

Entstehungszeitraum: 10/07/2019

Interview

Sind Sie heute schon gelaufen?

Nein, das bin ich gestern. Heute war ich schwimmen.

Das war sicher nicht ganz einfach. Im Hallenbad trifft man meistens Triathleten. Und gegen die haben Sie was.

Das stimmt. Viele von ihnen führen sich auf wie Alphatierchen, auch die Frauen. Bei der Wende am Beckenrand schneiden sie gern alle anderen, dabei schwimmen wir auch auf Tempo. Läufer sind da anders, sie nehmen Rücksicht aufeinander. Ich finde, der Bessere sollte der Höflichere sein.

Sie sind schon als Jugendlicher gelaufen, als kaum jemand durch den Wald getrabt ist, sondern Laufen verpönt war. Wie konnte Laufen zum Volkssport werden?

Je mehr wir uns in eine Wohlstandsgesellschaft verwandelt haben, desto größer wurde das Bedürfnis nach echten Herausforderungen und der Wunsch, seine Grenzen auszutesten. Laufen ist für alle, die den ganzen Tag am Computer sitzen, der perfekte Ausgleich. Es ist ja auch praktisch: Wenn man seine Schuhe dabei hat, kann man überall loslegen.

Für Sie ist es besonders praktisch: Sie gelten als Weltreisender unter den deutschen Schriftstellern.

Wenn ich unterwegs bin, betreibe ich das Laufen gern als Stadtbesichtigung. Als Spaziergänger kommt man nicht weit genug aus dem Zentrum heraus, an den Rändern werden Städte aber noch mal ganz anders, und man gewinnt entsprechend andere Eindrücke. Nicht erst in Shanghai oder Oslo, sondern auch schon in Kassel.

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