„Wir wollen Impulse setzen“

„Wir wollen Impulse setzen“Fragen: Eckart Baier

erschienen/erscheint bei:

buchjournal.de, 24/9/11; buchjournal 5/2011

Entstehungszeitraum: 02/09/2011

Interview (Kompletter Text)

Gfrereis: Ich wusste nicht, mit welchem letzten Wort Herr Politycki enden würde [mit einer Lesung aus „In 180 Tagen um die Welt“], aber ich habe es offenbar geahnt. Jeder meiner Fragen hier auf dem Zettel ist ein Zitat vorangestellt; das erste stammt aus Nietzsches „Götzendämmerung“: „Dinge schaffen, an denen umsonst die Zeit ihre Zähne versucht. Der Form nach, der Substanz nach, um eine kleine Unsterblichkeit bemüht sein. Ich war noch nie bescheiden genug, weniger von mir zu verlangen. Der Aphorismus, die Sentenz, in der ich als der Erste unter den deutschen Meistern bin, sind Formen der Ewigkeit.“ Auch aus Ihrem Roman ließen sich ja solche Aphorismen herauslösen, etwa die Antwort auf die Frage: „Wieso denn ausgerechnet Bananen?“ Denken Sie bei solchen Sätzen oder wenigstens bei anderen Ihrer Sätze an die Ewigkeit?

Politycki: Das ist ja ein heikles Terrain. Man schreibt wohl immer ein bisschen mit Rechnung auf die Zukunft, ob es jetzt gleich die Ewigkeit ist oder nicht. Vielleicht ist es anmaßend, es tröstet jedoch ungemein. Wir leben in einer Zeit der Mediokrität, die „Bezahlung“ für etwas im engeren Sinne Literarisches fällt fast nie angemessen aus; derzeit spielen viel zu viele kulturferne Kriterien hinein in das Bewerten eines Buches, da kann man nur hoffen, dass ebenjenes Buch über die Gegenwart hinaus Bestand hat, wo es dann hoffentlich von einer anderen Gesellschaft anders wahrgenommen wird.
Das Buch, aus dem ich gerade gelesen habe, ist eine Satire auf diese unsere dekadente Zeit vor Anbruch der Weltwirtschaftskrise; während des Schreibens habe ich nur daran gedacht, wie ich mit der Versuchsanordnung des Romans möglichst viel davon einfangen kann – also von der Gegenwart! – und zwar auf eine Weise, daß ich am Ende auch darüber lachen kann. Humor oder Ironie als Gegenkraft gegen das, was einen tagtäglich herunterzieht. – Während des konkreten Schreibens denke ich also überhaupt nicht an die Ewigkeit; die Hoffnung darauf gehört eher zur grundsätzlichen Konditionierung eines, ich behaupte jetzt mal: eines jeden, der sich als Schriftsteller begreift, auch wenn er es nicht gerne zugibt. Das Schreiben selbst muss man hingegen als Handwerk betreiben, sonst geht die Rechnung aufs Ewige sowieso nicht auf. Man ist, polemisch zugespitzt, gezwungen, sich als Dienstleister an der Gegenwart zu verstehen. Alles andere wäre ja kein „freier Schriftsteller“, sondern nur einer, der für sich selbst schreibt. Man lebt auf Dauer schließlich nicht von den Vorschüssen des Verlegers, sondern vom Leser und daß man bei ihm die eine oder andere verborgene Saite trifft, das Schielen auf Ewigkeit nützt da wenig.

Sommer: Das mit der Ewigkeit ist ja ein schwieriges Kapitel. Es hat viel mit nicht erfüllten Ansprüchen an die Gegenwart zu tun, wenn man auf die Ewigkeit spekuliert. Nietzsche, den Sie zitiert haben, ist dafür ein sehr schönes Beispiel. Er fängt eigentlich erst im Spätwerk an, diese Ewigkeitsaspirationen so deutlich zum Ausdruck zu bringen wie in der Passage aus der „Götzendämmerung“. Erst in dem Augenblick, als ihm eigentlich bewusst wird, dass er gar keine Resonanz in der Gegenwart findet. Und, wie Sie es geschildert haben, Herr Politycki: die Vorstellung, dass man als jemand, der sich für Kultur zuständig fühlt, der schreibt, eigentlich nicht gut genug bezahlt, honoriert wird, und deswegen einen gewissen Anspruch auf etwas hat, was einem im Nachhinein noch zusteht, diese Vorstellung ist schon eine, die einem hilft, sich schadlos zu halten, ein Stück weit wenigstens. Ein Stück weit möchte man hoffen, dass man etwas macht, was über den Tag hinaus wirksam ist, was über den Tag hinaus irgendjemanden ansprechen könnte. Natürlich ist das auch immer ein Argument, das man in Gegenwartsdiskussionen um Bildung, um Exzellenz und so weiter in die Waagschale werfen kann. Sie wissen vielleicht, deutsche Universitäten wollen heutzutage exzellent sein; der deutsche Wissenschaftsbetrieb soll exzellent werden, doch letztlich ist Exzellenz nur an dem zu messen, was in hundert oder in tausend Jahren noch gelesen wird. Das tut kein Bildungsminister und tut kein Akkreditierungsinstitut, also glaube ich, dass diese Hoffnung, dass man etwas über den Tag hinaus tut, immer mitschwingt. Andererseits wäre ich nicht ganz so pessimistisch, was die Gegenwartssituation angeht, wie Sie mit Ihrer Einschätzung, dass wir in einer kulturellen Dekadenz- und Verfallszeit leben Ich weiß nicht, ob zu den Zeiten, die wir als kulturelle Hochzeiten anzusehen uns angewöhnt haben, tatsächlich die Kultur regiert hat. Nietzsche bringt in dem Passus, den Frau Gfrereis zitiert hat, ein Horazzitat: „exegi monumentum aere perennius“, das heißt übersetzt: „ein Monument zu errichten mit der Dichtung, das stärker ist als alles Erz“, das alles Erz überdauert. Natürlich ist die augusteische Zeit der großen römischen Dichtung, die wir als Pyramide vor uns sehen, auch eine Zeit, in der es vor allen Dingen um Politik und vor allen Dingen um Ökonomie ging, und dass die Kultur da wirklich das Sagen gehabt hätte, das ist wahrscheinlich eine retrospektive Illusion. So dass ich wirklich nicht weiß, ob wir uns im Dekadenz- und Epigonenbewusstsein einrichten sollen, sagen sollten: Eigentlich leben wir in einer kulturellen Verfallszeit, eigentlich können wir nicht mehr ganz das schaffen, was zum Beispiel an der Weimarer Klassik dokumentiert ist oder was an großer antiker Literatur dokumentiert ist.

Politycki: Das letztere glaube ich doch auch, selbstverständlich können wir Ähnliches schaffen. Nehmen wir ruhig mal Goethe selbst, Goethe als Romancier, da könnte man ja zumindest überrascht, wenn nicht entsetzt darüber sein, wie mittelmäßig er beispielsweise das Ende des „Wilhelm Meister“ zusammengeschustert hat. Spätestens die Lektoren achten heutzutage darauf, daß ein Romanmanuskript auf einem ganz anderen handwerklichen Niveau gefertigt ist; die Kunst des Romanschreibens ist um ein vielfaches dadurch verfeinert worden, dass mittlerweile tausende an Köpfen darüber nachdenken, das fängt in Schreibkursen an und hört bei Kursen für Nachwuchskritiker noch längst nicht auf.
Was ich aber vorhin sagen wollte: Im Gegensatz zu dieser weitgehend bürgerlich geprägten Zeit des letzten Jahrhunderts verlieren wir, wenn man den veröffentlichten Zahlen glaubt, pro Jahr zehn Prozent an Lesern. Oder jedenfalls an Buchkäufern. Und in dieser Bilanz der verkauften Bücher sind alle Art von „Feuchtgebieten“ mit enthalten, ausschließlich von Literatur im engeren Sinne kann kein Verlag mehr leben. Er wird ja nicht vom Staat subventioniert, anspruchsvollere Publikationen muß er in der Regel durch „Feuchtgebiete“ querfinanzieren. Und trotzdem kommt, was den Stellenwert von Literatur im engeren Sinne betrifft, unterm Strich nicht annähernd mehr das heraus, was das letzte Jahrhundert geprägt hat – noch als ich groß wurde, in den 60ern, 70ern. Wie da noch über Literatur geredet wurde! Bei uns, unter Schülern! Dann unter Studenten – es war irgendwie großartig, abends nach Hause zu gehen, vielleicht nach einem Abend in der Kneipe, und sich im Bett noch ein kleines Suhrkamp-Bändchen reinzupfeifen. Heutzutage wäre das das Letzte, was man tun würde, Lesen ist ziemlich unsexy zur Zeit. Zumindest, wenn man der Sprache der Statistik glaubt. Es wird enger für uns alle, der Markt für Literatur ist härter umkämpft, weil sich immer weniger Menschen für immer mehr Neuerscheinungen pro Jahr interessieren.

Sommer: Umkämpfter ist der Markt bestimmt; die Maßstäbe sind flüssig geworden. Wir haben den gutbürgerlichen Bildungsstamm nicht mehr (…)